Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
ausgelegten, kleinen quadratischen Flur mit dem Telefontisch stand, den sie bei Hopewell gekauft hatten, passend zu der kleinen Truhe, die Lorraines Eltern ihnen zur Hochzeit geschenkt hatten, konnte sie kaum verstehen, was er sagte. Wollte es nicht verstehen.
»Sie ist mit jemandem mitgegangen«, sagte Michael noch einmal und umfasste ihren Arm unterhalb des Ellbogens.
Lorraine schüttelte heftig den Kopf. »Das würde sie nie tun.«
»Aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
»Trotzdem, sie würde das nie tun.«
Michael ließ ihren Arm los. »Woher willst du das so sicher wissen?«
»Weil wir es ihr immer wieder gesagt haben, alle beide. Wir haben es ihr eingebläut, seit sie laufen kann. Sprich nicht mit fremden Leuten, die im Park oder auf der Straße auf dich zukommen. Nimm nichts von ihnen an, ganz gleich, wie verlockend es aussieht. Kein Eis. Keine Süßigkeiten. Michael, sie würde das nicht tun, nie im Leben.«
Er hob die Hand und strich ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Irgendjemand hat sie mitgenommen«, sagte er.
Lorraine war, als hätte sie einen Schlag in den Magen bekommen. Sie konnte nicht sprechen.
Michael griff an ihr vorbei.
»Was willst du tun?«
Er sah sie erstaunt an. »Die Polizei anrufen.«
»Aber sie ist doch noch keine Stunde weg.«
»Lorraine, wie lange willst du denn warten?«
Er wählte schon, als sie so hastig, dass sie sich verhaspelte von Diana zu erzählen begann.
Michael und Diana hatten während ihrer ganzen Ehe am Mapperley Top gewohnt, in einem Reihenendhaus mit vier Zimmern, mehr hatten sie sich damals ganz bewusst nicht geleistet, weil sie nicht ihr ganzes Geld in die Anzahlung und die Hypothek stecken wollten. So konnten sie sich zwei Urlaube im Jahr gönnen und brauchten nicht jeden Penny zweimal umzudrehen, wenn sie ausgingen; meistens in irgendwelche Clubs, weil Diana gern mal fünf gerade sein ließ und mit Vorliebe tanzte. Danach ein Curry im »Maharani« oder im »Chand«; manchmal, wenn sie sich besonders reich fühlten, im »Laguna«.
Nach dem ganzen Ärger mit der Scheidung hatte Michael sich ein Apartment genommen und Diana war im Haus geblieben. Vor der Tür stand ein Verkaufsschild, aber nicht allzu viele Leute hatten Interesse gezeigt. Als Michael dann mit Lorraine zusammenziehen wollte, musste er natürlich darauf bestehen, dass Diana das Haus aufgab; und wenn sie es nur mit Verlust losschlagen konnten, es musste sein.
Diana hatte sich daraufhin ein Haus in Kimberley gesucht, einem kleinen Ort, wo früher die meisten Männer unter Tage und die Frauen in den Strickereien gearbeitet hatten und heute froh waren, wenn sie überhaupt Arbeit hatten.
Es war ein kleines Reihenhaus, zwei Zimmer unten, zwei oben. Wenn man die Haustür öffnete, stand man gleich mitten im Wohnzimmer, zwei Schritte weiter, und man war an der Hintertür. Von dem Minikreisverkehr bog Michaelnach rechts ab und fuhr die nächste links in eine schmale Straße parallel zur Hauptstraße. Drei Jungen, zehn oder elf Jahre alt, übten auf dem Hinterrad zu fahren, indem sie ihre Mountainbikes den Bordstein hinauf- und hinunterjagten. Michael blieb einen Moment vor dem Haus stehen und schaute zu den Fenstern hinauf, die alle bis auf eines Stores hatten. Auf der anderen Straßenseite ließ jemand sämtliche Nachbarn, sofern sie nicht klinisch taub waren, an seiner Begeisterung für die Top Twenty dieser Woche teilhaben.
Michael trat durch die Lücke in der verwilderten Buchsbaumhecke, in der eigentlich die Gartentür hätte sein müssen. Die Klingel funktionierte offenbar nicht und einen Türklopfer gab es nicht, also schepperte er mit der Briefkastenklappe und trommelte an die Tür.
»Sie ist weggefahren«, rief eine Nachbarin zwei Häuser weiter, die dabei war, ihre Vortreppe zu schrubben.
»Das kann nicht sein.«
»Sie müssen’s ja wissen.«
Ein Stück weiter die Straße hinunter war ein Torbogen, der hinter die Häuser führte. Michael ging um die Mülltonne herum und schaute durch das Küchenfenster. Das neben dem Spülbecken gestapelte Geschirr, vielleicht vom Frühstück, musste nichts bedeuten. Er klopfte an die Hintertür und drückte schließlich dagegen: verschlossen und verriegelt.
Er kletterte auf das schmale, leicht schräge Fenstersims des hinteren Zimmers, um durch einen Spalt zwischen den Vorhängen zu spähen. Ein Tisch aus Kiefernholz mit mehreren Stühlen, einer davon mit einem Geschirrtuch über der Rückenlehne; Trockenblumen in einer
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