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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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ein Auto, dem man nicht ansah, dass es ein amtliches Fahrzeug war, folgte. Die beiden uniformierten Beamten waren sofort aus ihrem Wagen und liefenMichael nach, der zum Haus rannte. Eine Frau im Anorak stieg aus dem dritten Fahrzeug und öffnete die hintere Tür für einen korpulenten Mann, der einen Moment auf dem Bürgersteig stehen blieb und seinen Regenmantel enger um sich zog.
    Lorraine, das Gesicht dicht an der Scheibe, spürte, dass dieser Mann, wer auch immer er sein mochte, sie ansah, während er barhäuptig, die Hände tief in den Manteltaschen, dort in der anbrechenden Dunkelheit stand. Dann war Michael da, schlang die Arme um sie und hielt sie fest, während er schluchzend, seinen Mund an ihr Haar gepresst, immer wieder leise ihren Namen sprach, Lorraine, Lorraine.

17
    Das Tolle an den Sonntagmittagen in der Stadt waren damals, als Resnick noch Streife gegangen war, die Bands gewesen, denen man in Pubs wie dem »Arnold« oder dem »Bobbers Mill« für den Preis eines Biers zuhören konnte. Nicht immer die große Vielfalt, gewiss; New Orleans und Chicago nach Art des Hauses, aber wer keinen Eintritt bezahlte, durfte auch nicht wählerisch sein. Außerdem hatten nach einer rauen Samstagnacht die vertrauten Töne von »Who’s Sorry Now?« oder »Royal Garden Blues« einiges für sich. Zwei Chorusse im Ensemble, Soli rundherum, dann noch einmal zwei, bei denen alle aufs Ganze gingen, zum Schluss Breaks, jeweils vier Takte, und im letzten warf der Schlagzeuger wahrscheinlich mit einem »Huuuja! Huuuja« seine Sticks in die Luft und schaffte es nicht, sie wieder aufzufangen.
    Einmal hatte Resnick seinen Vater überredet mitzukommen, wohl wissend, dass der alte Mann ablehnen würde,wenn er ihm vorher etwas über die Musik erzählte. Sie hatten sich also in den Pub gesetzt und Resnick hatte Verwunderung geheuchelt, als ein halbes Dutzend Männer mit Instrumentenkästen in verschiedenen Formen und Größen hereinmarschierte. Sein Vater, ein Semprini-Anhänger, dessen Vorstellung von Jazz nie über Winifred Atwell und Charlie Kunz hinausgegangen war, blieb bis zur dritten Nummer, einer Version von ›Dippermouth Blues‹, die besonders stampfend daherkam. Bei dem vereinten Ruf »Oh, play that thing!« schob Resnick senior sein Bier beiseite, vernichtete seinen Sohn mit einem Blick tiefster Verachtung und ging.
    Danach sprach er nur noch abfällig von »diesem melodischen Ragtime«, wobei Resnick sich die Genugtuung versagte, seinen Vater darauf aufmerksam zu machen, dass er beide Wörter falsch gebrauchte.
    Und dennoch dachte Resnick, als er an diesem besonderen Sonntagnachmittag das »The Bell« verließ, wo unter den Musikern einige gewesen waren, die er damals gehört hatte, über seinen Vater nach und nicht über dieses oder jenes Solo. Gefühle zu zeigen, war nie dessen Sache gewesen, und so hatte es außer einem gelegentlichen Händedruck kaum körperlichen Kontakt zwischen ihm und seinem Sohn gegeben. Resnick erinnerte sich jetzt, als er den breiten Rand des Platzes überquerte, an den Tag, als er seinen Vater zum ersten Mal im Krankenhaus zurückgelassen hatte, zu einer diagnostischen Operation. Im Frottébademantel, der ihm zu weit geworden war, darunter den neu gekauftem Paisleypyjama, dessen Hosenbeine auf den Hausschuhen aufsaßen, stand er da. »Wiedersehen, mein Junge«, sagte er, und aus irgendeinem Impuls heraus hatte Resnick ihn in die Arme genommen und auf die unrasierte Wange geküsst. Er konnte jetzt noch, selbst mitten im Verkehrslärm, den halb unterdrückten Aufschrei derÜberraschung hören und die Tränen sehen, die sich in den Augen seines Vaters sammelten.
    Auf dem Heimweg bog Resnick nach links ab, zum immer weiter um sich greifenden Gelände des Polytechnikums, und ging ins Arboretum. Ein paar Eltern schoben ihre Kinder an der Voliere vorbei und hielten sie aufgeregt mit den Fingern zeigend dicht ans Gitter. Er setzte sich eine Weile auf eine der beiden Holzbänke gegenüber der beeindruckenden schwarz verwitterten Kanone, die das heimische Regiment auf der Krim erbeutet hatte. Da saß er nun, ein Mann, der dem mittleren Alter entgegenging, allein an diesem frühwinterlichen Nachmittag, und dachte an all die Dinge, die er seinem Vater gern sagen wollte und nicht mehr sagen konnte. Ziemlich albern.
    Als er eine halbe Stunde später über Katzen stolpernd in seine Wohnung trat, läutete schon das Telefon.
    Zu dieser Abendstunde konnte man sie nicht so deutlich erkennen, aber Resnick

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