Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
zu Staub zerfallen waren.
Ich kann nicht verstehen, wie ein normaler Mensch …
Resnick kannte einen Mann, der in einem für ihn untypischen Moment seiner Mutter einen Hammer zwischen die Augen geschlagen hatte. Jetzt, nach neun Jahren im Gefängnis, meldete er sich regelmäßig bei seinem Bewährungshelfer, wechselte die Blumen auf dem Grab seiner Mutter, führte ein produktives, tadelloses Leben. Er kannte einen anderen, der hatte einen Mann mit einem abgebrochenen Flaschenhals getötet, bei einer Wirtshausschlägerei, einem Streit wegen nichts, der in einer Fontäne roten Bluts geendet hatte. Am dritten Tag seiner Bewährung hatte ersich wegen des Fahrpreises von zwei Pfund mit einem Taxifahrer gestritten und diesen totgeschlagen.
… wie ein Mensch …
Resnick trat ans Fenster und schaute hinaus. Alle anderen Fenster, die er sehen konnte, waren verhängt und dunkel. Es gab im Leben der meisten Menschen einen Ort, da waren sie zu den schlimmsten Dingen fähig.
Ich habe dir den Tod gewünscht, Charlie, schockiert dich das?
Wo auch immer Elaine in diesem Moment sein mochte, er hoffte, sie schlief und stand nicht wach da wie er, schwankend an der Schwelle zu etwas, das er weder ignorieren noch ganz erfassen konnte: etwas, was, selbst wenn er Augen und Ohren verschloss, misstönend durch sein Bewusstsein geisterte.
Jenseits von Moll.
Lorraine war seit dem Morgengrauen wach und sah abwechselnd auf Michaels selbst im Schlaf unruhiges Gesicht und das blinkende Auge der Digitaluhr. Als sie die Falte, die sich immer tiefer um die Augen ihres Mannes zusammenzog, vorsichtig mit der Hand glätten wollte, zuckte er instinktiv weg, ohne aufzuwachen, betäubt von der Ungeheuerlichkeit dessen, was geschehen war.
Lorraine blieb liegen, erinnerte sich an den Tag, als sie Emilys Gesicht zum ersten Mal gesehen hatte: an das Rückfenster von Michaels Wagen gedrückt, dunkle Augen und auffallendes rotes Haar. Michael hatte sie zum Einkaufen mitgenommen und auf der Rückfahrt einen Abstecher zu Lorraines kleiner Wohnung gemacht. Sie und Michael waren damals seit ungefähr einem Monat zusammen. Störrisch weigerte sich das kleine Mädchen, auszusteigen und Daddys Freundin guten Tag zu sagen. Als sie wieder fuhren, dachte Lorraine, das schaffe ich nicht – ein Mann miteiner zerrütteten Ehe und einem kleinen Kind –, das ist das Letzte, was ich brauche.
»Himmelherrgott«, hatte ihr Vater gerufen. »Haben wir dich dafür großgezogen und in die Schule geschickt? Damit du die Reste frisst?«
»Wer sagt dir denn«, hatte ihre Mutter eingeworfen, »dass er es nicht mit dir genauso macht wie jetzt mit seiner Frau?«
Auf der Hochzeit waren sie für sich geblieben, steif und unzugänglich beim Empfang, und früh gegangen wegen der langen Heimfahrt.
Emily war außer sich gewesen vor Aufregung und Stolz auf ihr neues Kleid, das im Verlauf des Nachmittags von allem, Süßspeise, Eis und Hochzeitstorte, etwas abbekommen hatte. Als die Band zu spielen begann, hatte Michael zuerst mit Lorraine, dann mit Emily getanzt, hatte sie lachend in den Armen gehalten und in großen Kreisen herumgeschwungen.
Michael knurrte, wälzte sich auf die andere Seite und vergrub sein Gesicht unter den Armen. Leise stand Lorraine auf und ging nach unten. Als sie den Vorhang ein wenig zur Seite schob, rannte gerade die erste Kameracrew durch den Vorgarten.
Raymond blieb an diesem Morgen lange im Bett liegen, müde und heftig erregt. Er versuchte, klare Bilder von Sara heraufzubeschwören, aber beharrlich schoben sich andere dazwischen.
»Also«, begann Skelton, »alle frisch und munter? Dann mal los.«
Der Teil des Stadtplans, den sie brauchten, hing vergrößert hinter ihm an der Wand. Zu beiden Seiten Fotografien von Gloria Summers und Emily Morrison. Farbige Stecknadelköpfekennzeichneten die Wohnorte der beiden sowie die Orte, an denen sie zuletzt gesehen worden waren. Schmale Bänder markierten ihre Schulwege und mögliche Routen zum Spielplatz.
»Zwei kleine Mädchen«, sagte Skelton, »im gleichen Alter. Innerhalb von drei Monaten nacheinander verschwunden. Ihre Wohnorte und ihre Schulen sind nicht einmal anderthalb Kilometer voneinander entfernt. Ist das Zufall?«
Der Superintendent musterte die Gesichter der Beamten, die grimmig im blauen Dunst der ersten Zigaretten dasaßen.
»Wir lassen jetzt den Fall Summers noch mal durch den Computer laufen, um zu prüfen, ob es Verbindungen gibt. Im zweiten Fall setzen wir bis jetzt auf die Mutter. Wir
Weitere Kostenlose Bücher