Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
Meinung nach relevant sein könnte.«
Resnick lächelte beruhigend. »Ihr passiert nichts, Mr Morrison. Wir finden sie.« Aber Michael war nicht beruhigt.
Lynn Kellogg schaute in der Küche nach und im Schlafzimmer. Sie wich dem Constable aus, der im schmalen Flur an ihr vorbeiwollte, und sah ihn fragend an. Ein Aufeinanderpressen der Lippen, ein kurzes Kopfschütteln. Sie fand Lorraine schließlich hinten im Garten, mit einer Strickjacke um die Schultern und einer von Emilys Puppen im Arm. Lichter brannten gelb und orange in den meisten Nachbarhäusern; Menschen waren zu erkennen, die ihrem Alltag nachgingen, als wäre nichts geschehen. ›Antiques Roadshow‹, ›Songs of Praise‹, ›Mastermind‹. Die Reste des Hühnchens oder Bratens wurden mit Folie zugedeckt und in den Kühlschrank gestellt. Morgen begann eine neue Woche.
»Sie wissen, dass sie nicht mein Kind ist? Emily.«
»Ja, ich weiß.«
Keine Tränen, leergeweint. »Wir waren … wir sind nach oben gegangen … wir haben miteinander geschlafen.«
»Ja.«
»O Gott.«
Ihre Fingernägel hatten sich tief in ihre Handballen gegraben. Jetzt wandte sie sich Lynn zu, und Lynn nahm sie in die Arme. Zu beiden Seiten suchten Beamte mit Taschenlampen in Gebüsch und Hecken.
Im Haus erzählte Michael Resnick stockend von Diana, seiner ersten Frau.
18
»Sie hätten mich früher anrufen sollen, Charlie.«
»Die Aussichten, sie innerhalb der ersten zwei Stunden zu finden, standen nicht schlecht.«
»Ja. Aber Sie haben sie nicht gefunden.«
Skelton hängte seinen Mantel auf den Bügel hinter der Tür und strich über die Schulterpartie, damit er faltenlos hing. Er war in ein Buch vertieft gewesen, als Resnick ihn erreicht hatte: Alexander Kent, Seefahrergeschichten, die Forester und seinen Hornblower alt aussehen ließen.
»Dad, für dich.« Seine Tochter Kate hatte zur Tür hereingeschaut, zum schwarzen T-Shirt trug sie den passenden Lippenstift. Seit sechs Monaten hatte sie einen Freund, der, wie sie Skelton aufgeklärt hatte, ein Grufti war: ein Physikstudent im ersten Jahr mit einer Vorliebe für laute Musik und Geisterbeschwörungen. An den Wochenenden ging es nach London, zum Kensington Market und in Clubs wie das »Slimelight«. Es sollte einen nicht wundern, wenn er nächstes Jahr sein Studium an den Nagel hängte und Kate mit auf eine Expedition nach Transsylvanien schleppte.
Skelton hatte seinen Satz zu Ende gelesen, das Buchzeichen eingelegt und war in den Flur gegangen, wo der Hörer, wie von Kate hinterlassen, an der Schnur im Leeren baumelte.
Schon bei Resnicks ersten Worten hatte er gewusst, dass es ernst war. »Gut, Charlie, ich komme sofort rein.«
Jetzt stand Skelton hinter seinem Schreibtisch. »Und die Mutter ist noch nicht aufgetaucht?«
Resnick schüttelte den Kopf.
»Wer ist vor Ort?« Skelton drehte den Sessel vom Schreibtisch weg, setzte sich und bedeutete Resnick, ein Gleiches zu tun. Die Deckenlampe, deren konischer Schirm das Licht der Klarglasbirne reflektierte, strahlte hell. Die nackten Tatsachen, soweit bekannt, lagen sauber getippt in dem Hefter auf Skeltons Schreibunterlage, zusammen mit der fotokopierten Porträtaufnahme und den Angaben über Emilys Alter, ihr Aussehen, den Ort, an dem sie zuletzt gesehen worden war …
Vor drei Monaten hatten sie auch hier in diesem Zimmer gesessen, vor der gleichen Situation. Vierundzwanzig Stunden. Achtundvierzig. Der Obduktionsbefund zu Gloria Summers lag noch in der obersten Schublade von Skeltons Schreibtisch.
»Patel, Sir.«
»Letzter Kontakt?«
»Vor zwanzig Minuten.«
Skelton schlug den Hefter auf, nahm die Unterlagen heraus und breitete sie fächerförmig auf dem Schreibtisch aus. Resnick beugte sich vor, den Kopf einen Moment in die Hand und den Ellbogen aufs Knie gestützt.
»Was haben wir über die Mutter außer den Vermutungen des Vaters?«
Resnick richtete sich auf. »Sie hat eine psychiatrische Vorgeschichte, war mal in der Klinik.«
»Wie lange ist das her?«
»Ein paar Jahre.«
»Wissen wir Genaueres?«
»Depressionen, hat Morrison uns gesagt.«
»Du meine Güte, Charlie. An Depressionen leiden wir alle.«
Fünf Prozent der Bevölkerung, dachte Resnick, und das waren nur die, bei denen die Krankheit klinisch diagnostiziert war. Wenn man alle Leute vor einen Standardtest zur Gesundheitsbewertung setzte, wie viele Tausende mehr würden dann wohl nach ihrem Lithium und ihrem Tryptizol anstehen?
»Die Ehefrau …«
»Welche?«
»Die jetzige. Lorraine.
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