Der Kinderpapst
Einmal im Jahr übertragen die Mosessöhne die
Sünden ihres Volkes auf einen Ziegenbock, den sie mitsamt ihren Sünden in die
Wüste jagen.«
»Ihr redet in Rätseln, Eminenz«, sagte Ermilina.
Petrus da Silva tupfte sich mit einem Tuch den Wein von den Lippen.
»Der Münzbetrug hat das Volk gegen Benedikt aufgebracht, also müssen wir
jemanden für den Münzbetrug zur Rechenschaft ziehen. Den Münzmeister oder einen
seiner Gesellen. Dann gehört Seine Heiligkeit genauso wie das Volk zu den
Opfern treuloser Verbrecher. Die Gemüter werden sich beruhigen, und die
Stimmung schlägt zu unseren Gunsten um.« Er stellte seinen Becher ab und wandte
sich an Teofilo. »Gebt Ihr mir die Erlaubnis, Heiligkeit, die nötigen Schritte
einzuleiten?«
Teofilo spürte, wie alle Blicke sich auf ihn richteten. Er musste
eine Entscheidung treffen. Doch wollte er überhaupt zurück auf den Thron?
Zweimal hatte man ihm nach dem Leben getrachtet, zweimal war er nur mit knapper
Not entkommen â¦
»Hast du vergessen, wie sie dich davongejagt haben?«, fragte
Gregorio in die Stille hinein. »In einem Jauchkarren! Ganz Rom lacht über dich.
WeiÃt du, welchen Namen sie dir gegeben haben? Benedikt der Stinkende!«
»Genug!«, unterbrach Teofilo seinen Bruder und kehrte dem Kamin den
Rücken zu.
Er griff zu dem Krug Wein, der auf dem Tisch stand, um seine
Erregung zu betäuben. Doch er hatte den Becher noch nicht gefüllt, da stellte
er ihn wieder ab. Nein, er wollte keinen Wein. Den brauchte er nur gegen die
Feinde, die in seinem Innern hausten.
»Unser Entschluss ist gefasst!«, wandte er sich an den Kanzler.
»Setzt noch heute ein Schreiben auf. Alle Priester unseres Bistums sollen es
nächsten Sonntag von den Kanzeln verlesen. Darin verhängen wir, Papst Benedikt IX ., über den Bischof der Sabina und Usurpator der
Cathedra zur Strafe für seinen Frevel die Exkommunikation aus der Gemeinschaft
der katholischen Kirche. Und du«, fügte er an seinen Bruder gerichtet hinzu,
»sammle unsere Truppen und stelle ein Heer auf. Wir ziehen nach Rom!«
»Das heiÃt, Ihr wollt den Sabinern tatsächlich den Krieg erklären?«,
fragte Petrus da Silva.
»Glaubt Ihr, wir lassen eine solche Demütigung ungesühnt!«, fragte
Teofilo zurück. »Sobald das Wetter es erlaubt, greifen wir an!«
2
Der raue Winter hielt sich nur zwei Wochen in den Bergen. Dann
zogen die schweren, schneenassen Wolken weiter nach Norden, in Richtung Siena
und Florenz, und eine blassgelbe Sonne eroberte allmählich den Himmel zurück.
Kaum waren die Wege und StraÃen vom schlimmsten Morast befreit,
sattelten Gregorio und seine Brüder die Pferde, um Soldaten für Benedikts Armee
anzuwerben und Verbündete gegen die Sabiner zu gewinnen.
Das Rüsten der Tuskulaner blieb freilich nicht lange unbemerkt.
Sowohl in Rom als auch in der Campagna verbreitete sich die Nachricht wie ein
Lauffeuer, und schon bald stand jeder Edelmann vor einer Frage: Wollte er
Benedikts Freund oder Feind sein?
»Ich meine, wir sollten uns aus dem Streit heraushalten«, sagte
Domenico.
»Weshalb?«, erwiderte Chiara. »Worauf wollt Ihr Rücksicht nehmen?«
Obwohl sie es nicht aussprach, glaubte er zu wissen, was sie meinte.
Er brauchte sie ja nur anzusehen. Die Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben,
und er musste kein Hellseher sein, um zu begreifen, wem ihre Angst galt.
Teofilo ⦠Die Vorstellung, was gerade in ihrem Herzen vorging, schmerzte ihn
mehr, als wenn sie die Wahrheit offen ausgesprochen hätte.
Laut sagte er nur: »Wenn Ihr wünscht, werde ich versuchen, zwischen
den Tuskulanern und den Sabinern zu vermitteln.«
»Wie denn?«, fragte Chiara. »Ihr habt vor Gericht Severos Sohn des
Mordes bezichtigt, und Ugolino wurde daraufhin verbrannt. Die Sabiner hassen
Euch.«
Sie sprach mit solcher Entschiedenheit, dass Domenicos Ahnung zur
Gewissheit wurde. Sie liebte Teofilo immer noch. So sehr, dass sie ihren
eigenen Mann dafür in den Krieg schicken wollte.
»AuÃerdem«, fügte sie hinzu und zog sich ihr Kopftuch straff, »ist
es für Verhandlungen zu spät. Der Krieg hat längst begonnen. Wir können uns
nicht mehr heraushalten.«
»Wisst Ihr, was Ihr von mir verlangt?«, fragte er.
»Ja, das weià ich«, antwortete sie. »Aber Ihr habt keine andere
Wahl: Entweder steht Ihr auf der
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