Der Kinderpapst
Winter
bereits das Stadtgebiet beherrschten. Die Tuskulaner hatten darum ihr Lager in
Trastevere aufschlagen müssen, dem Stadtteil, dessen Bewohner Benedikt nach wie
vor ergeben waren und ihn allein als wahren und rechtmäÃigen Papst anerkannten.
»Angst?«, fragte Teofilo zurück. »Wovor? Dass wir morgen tot sind?«
»Nein«, sagte sein Bruder. »Diese Angst meine ich nicht. Die hat
jeder. Dagegen kann man sich betrinken.«
»Welche Angst meinst du dann?«
»Die Angst, was danach kommt.« Gregorio nahm einen Schluck aus
seiner Feldflasche. »Dass, wenn man tot ist, Gott sich an einem rächt für das,
was man getan hat.« Er fasste an das Amulett, das vor seiner Brust baumelte:
eine Gladiolenzwiebel, die ihn vor einer Verwundung im Kampf schützen sollte,
und bekreuzigte sich. »Wenn er uns nur ein Zeichen geben würde«, flüsterte er,
»damit ich weiÃ, dass er uns hilft.«
Voller Anspannung kaute er an seinen Nägeln. Am Morgen hatte Petrus
da Silva für die ganze Armee Fasten und Beten angeordnet und den Männern
befohlen, allen Streit untereinander zu begraben und sich gegenseitig Hilfe im
Kampf zu versprechen. Aber nach dem Angelus hatte er das Fasten und Beten
aufgehoben und Schnaps und Wein ausschenken lassen, damit sie sich Mut antrinken
konnten.
»Willst du auch einen Schluck?«, fragte Gregorio und reichte seinem
Bruder die Flasche.
Teofilo schüttelte den Kopf. Nein, er wollte sich nicht betäuben.
Die Vorstellung der Schlacht erfüllte ihn den ganzen Tag schon mit einer
seltsamen Erregung, einem Gefühl, das er manchmal am Rand eines Abgrunds
empfand: eine Mischung aus Angst, hinunterzustürzen, und der Sehnsucht, dem Sog
des Schwindels zu folgen. Fröstelnd zog er sich den Hermelinmantel über die
Schulter, den er über seinem Kettenpanzer trug. Wenn er am nächsten Tag sterben
würde, würde er eben sterben ⦠Er war für den Tod bereit.
»Erscheint er dir auch manchmal?«, wollte Gregorio wissen. »Ich
meine, wenn es dunkel wird oder im Traum?«
»Wen meinst du?«
»Den Alten!« Gregorio schüttelte sich. »Gestern Nacht war er wieder
da. Er sah aus wie ein Bischof und hat mir befohlen, für ihn zu beten. Damit er
aus dem Fegefeuer rauskommt.« Unsicher blickte er Teofilo von der Seite an.
»Kannst du vielleicht morgen früh eine Messe lesen? Für unseren Sieg? Ich
meine, auf dich muss Gott doch hören. Du bist doch
der Stellvertreter seines Sohns.«
Teofilo konnte Gregorios Miene in der Dunkelheit nur ahnen. Doch
umso deutlicher spürte er die Angst, die in der Stimme seines Bruders lag.
»Glaubst du wirklich an Gott?«, fragte er.
»Bist du verrückt?« Entsetzt griff Gregorio nach der Zwiebel an
seiner Brust. »Halt ja den Mund! Oder willst du, dass uns der Teufel jetzt
schon holt?«
4
Sanft schien das Licht des Mondes durch das offene Fenster, während
aus der Ferne die Rufe der Soldaten herbeiwehten. Chiara zog sich das Hemd über
den Kopf, und zusammen mit ihrem Mann sank sie auf das Lager, das sie in der
dunklen, leeren Werkstatt bereitet hatte, um mit ihm die letzte Nacht zu teilen,
bevor er in den Krieg zog.
»Komm zu mir, Domenico«, sagte sie und streckte die Arme nach ihm
aus. »Komm endlich zu mir â¦Â«
Ihr nackter Körper war von einer wunderbaren Empfindsamkeit. Mit
jeder Pore verzehrte sie sich nach ihm, während sie ihm die Hose von den Hüften
streifte. Helle Funken sprühten in der Finsternis, als ihre Leiber sich
berührten.
»Oh Gott, wie lange habe ich auf dich gewartet â¦Â«
»Und ich auf dich ⦠Und ich auf dich â¦Â«
Sie fühlte seine Haut auf ihrer Haut, sein Sehnen, die pulsierende
Dringlichkeit, mit der er sie begehrte, und sie hatte nur noch den einen
Wunsch, eins mit ihm zu werden. Ãberall spürte sie seine Hände, seine
Berührungen, seine Liebkosungen, so leicht und zart wie Seide, kaum mehr als
ein Hauch. Ein Schauer lief ihr über den Rücken und erfasste ihren ganzen Leib.
Noch nie war sie so bereit für ihren Mann gewesen wie in dieser Nacht, noch nie
hatte sie ihn so sehr gewollt.
»Danke, dass du heute bei mir bist«, flüsterte er.
»Pssst«, machte sie und legte ihren Finger auf seinen Mund. »Du
sollst dich nicht bedanken. Ich wollte selber bei dir sein, nur darum bin ich
hier. Für mich. Weil ich dich nie wieder
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