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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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geschüttelt. Domenico hatte so viel Blut
verloren, dass sie ihr geraten hatten, nach einem Priester zu schicken. Anna
hatte sich auf den Weg gemacht, und wenig später war ein Priester gekommen, ein
alter, einfacher Gemeindepfarrer aus irgendeiner nahe gelegenen Kirche, den
Chiara nicht einmal kannte. Er hatte Domenico die Beichte abgenommen und ihm
bereits das Viaticum gespendet, Wein und Brot als Wegzehrung für die letzte
Reise. Jetzt beugte er sich in der Dunkelheit über ihn, ein Schatten aus dem
Totenreich, bestrich mit geweihtem Öl die Organe seiner fünf Sinne: Augen und Ohren,
Nase, Mund und Hände, und bat dabei Gott um Vergebung für die Sünden, die der
Sterbende zeit seines Lebens begangen haben mochte.
    Â»Durch diese heilige Salbung helfe der Herr dir in seinem Erbarmen.
Es segne dich der Allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.«
    Â»Amen«, flüsterte Chiara und bekreuzigte sich.
    Â»Gott sei deiner Seele gnädig.«
    Während der Priester die heiligen Geräte in seine Tasche packte,
setzte sie sich an das Bett ihres Mannes. Seit die Soldaten Domenico gebracht
hatten, war sie tätig gewesen, hatte sie Entscheidungen und Anordnungen
getroffen, seine Wunden gewaschen und verbunden, sein Bett gerichtet und alles
versucht, was sie nur versuchen konnte, um das Schicksal aufzuhalten – und
solange sie tätig gewesen war, hatte es Hoffnung gegeben. Doch diese Stunden
waren vergangen wie ein flüchtiger Augenblick, und jetzt, da es nichts mehr
gab, was sie tun konnte, irgendwas, nur um nicht denken zu müssen, war alle
Hoffnung zerstoben. Mit quälender Langsamkeit sickerte die Wahrheit in ihr
Bewusstsein, drang ein in ihre Gedanken, in ihre Seele, in ihr Herz, die letzte
aller Wahrheiten, die lähmend von ihr Besitz nahm, weil es gegen sie kein
Mittel gab. Domenico würde sterben … Noch in dieser Nacht … Hier in ihrem Arm …
    Â»Habt Ihr alles für ihn getan?«, fragte sie den Priester.
    Â»Alles, was die heilige Kirche vorschreibt. Also fürchtet Euch
nicht. Euer Gemahl hat die Sakramente empfangen und wird eingehen in das Reich
der Seligen.«
    Chiara hörte die tröstenden Worte, doch sie gaben ihr so wenig Trost
wie die Gebete. Mit einem Seufzer nahm sie Domenicos Hand. Bei der vertrauten
Berührung hatte sie für einen Moment das Gefühl, dass nichts auf der Welt,
keine Macht des Himmels oder der Hölle, sie von ihrem Mann je trennen konnte.
Doch als der Priester sich zur Tür wandte, um die Kammer zu verlassen, überkam
sie plötzlich eine verzweifelte Angst. Sie wollte nicht, dass der Priester die
Kammer verließ, solange er da war, würde der Tod es nicht wagen, den Raum zu
betreten, solange er da war, würde Domenico leben … Doch der Priester hörte ihr
stummes Flehen nicht. Wortlos nickte er ihr nur noch einmal zu und verschwand
auf den Flur hinaus. Leise schloss er die Tür hinter sich, und Chiara war
allein mit ihrem Mann und dem Tod.
    Â»Nicht weinen, mein Liebling … bitte nicht weinen …«
    Chiara zuckte zusammen. Hatte er wirklich gesprochen, oder war das
die Stimme ihres Herzens? Ihre Augen waren tränennass, und nur verschwommen sah
sie sein Gesicht. Bleich und leblos lag Domenico im Mondschein, keine Regung
verriet, dass noch eine Seele in ihm war. Doch plötzlich, leise, ganz leise,
wie aus einer unbekannten Ferne, spürte sie einen Druck in ihrer Hand, kaum
mehr als eine Ahnung.
    Â»Nimmst du bitte das Kopftuch ab? Ich … ich möchte dein Haar noch
einmal sehen.«
    Â»Aber sicher, mein Liebster«, sagte sie und streifte sich das Tuch
vom Kopf.
    Ein trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht. »Du hast mich
niemals geliebt«, flüsterte er, mit so schwacher Stimme, dass sie ihn kaum
verstand. »Ich weiß, du … hast es versucht, aber du konntest es nicht …«
    Â»Um Himmels willen! Wie kannst du so etwas sagen?« Chiara beugte
sich über ihn, bedeckte sein Gesicht mit Küssen. »Ich habe dich immer geliebt,
mein Liebster, von Anfang an. Das musst du mir glauben. Auch wenn ich es selber
erst so spät gemerkt habe …«
    Mit einem Gesicht, das ihr das Herz brach, schüttelte er den Kopf.
»Jetzt ist keine Zeit mehr für Lügen …«
    Â»Bitte, Domenico, hör auf. Du weißt doch, was ich für dich
empfinde!«
    Wieder huschte ein Lächeln über sein

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