Der Kinderpapst
auch sie nicht
mehr war.
Erst als irgendwo drauÃen eine Glocke schlug, richtete sie sich auf.
Noch einmal schaute sie in sein Gesicht.
Sein Körper war noch da, doch Domenico war fort, sein Lächeln für
immer auf einem Gesicht erstarrt, von dem der Tod nur eine falsche, fremde
Maske zurückgelassen hatte. Seine Augen, die eben noch in ihre Augen geschaut
hatten, blickten in ein kaltes, fernes Nirgendwo, das vielleicht schon seine
Heimat war.
Während sie mit der Hand über sein Gesicht strich, um diese Augen zu
schlieÃen, die nicht mehr die Augen ihres Mannes waren, zog drauÃen am Himmel
eine Wolke vor den Mond, und die Kammer füllte sich mit dunkler, böser Nacht.
9
Noch immer wehte das Banner der Sabiner über der Engelsburg,
und auch das Banner der Tuskulaner wehte weiter über St. Peter im Wind. Seit
vier Tagen bekriegten sich inzwischen die verfeindeten Heere. Wer war der von
Gott gewollte Papst? Benedikt oder Silvester? Obwohl die Frage im Himmel längst
entschieden war, musste sie auf Erden noch beantwortet werden.
Jeden Morgen lasen die zwei Päpste für ihre Truppen die Messe, um
die Gemüter der Männer für den Sieg zu rüsten, bevor die Angriffswogen aufs
Neue gegen einander rollten. Doch auf dem Schlachtfeld war nur ein Papst
zugegen. Während Silvester sich in der Engelsburg verschanzte, kämpfte Benedikt
trotz seiner Verletzung mit dem Schwert in der Hand, Seite an Seite mit seinem
Bruder.
»Da! Sieh nur!«, schrie er. »Diese Schweine!«
Gregorio stockte das Blut in den Adern. Auf den Zinnen der
Engelsburg hatten die Sabiner abgeschlagene Köpfe aufgespieÃt, Köpfe von
Tuskulanern, und gossen Jauchekübel über sie aus, um sie noch im Tod zu
entehren. Ein Aufschrei der Empörung ging durch das Heer.
»Das sollt ihr büÃen!«
Gregorio gab seinem Pferd die Sporen und warf sich voller Wut in die
Schlacht. Nacht für Nacht wurde er vom Geist seines Vaters heimgesucht, und
jedes Mal sprach der Alte dieselbe Drohung aus: Sollten die Tuskulaner den
Krieg verlieren, würde der Teufel Gregorio holen. Doch wie konnte er die
Niederlage abwenden? Das Heer der Tuskulaner war schon auf die Hälfte
geschrumpft, während das Heer der Sabiner täglich gröÃer zu werden schien.
Wieder regnete eine Salve Pfeile auf die Tuskulaner herab, und
überall sanken Soldaten zu Boden. Im nächsten Augenblick stürmten hundert
bewaffnete Sabiner über die Brücke, um das Bollwerk an Land zu durchbrechen.
Gregorio sprang gerade von seinem Pferd und griff nach einem Keulenkopf am
Boden, als ein Speer auf ihn zugeflogen kam. Mit beiden Armen riss er seinen
Schild in die Höhe, mit lautem Knall traf die Spitze auf das Eisen, mit solcher
Wucht, dass er taumelnd zurückwich. Während er sich wieder in den Sattel
schwang, bekam er gerade noch den Keulenkopf zu fassen. Im HochreiÃen
schleuderte er die Waffe gegen den ersten Angreifer, der wie vom Blitz
getroffen zu Boden fiel. Doch die beiden anderen waren schon so nah, dass er
den Keulenkopf kein zweites Mal hochbringen konnte. Er lieà ihn sausen und
griff nach seinem Schwert.
»Zum Teufel mit euch!«
Während er die zwei Angreifer mit einem einzigen Streich niederstreckte,
sah er plötzlich seinen Bruder. Mit seinem Schlachtross
sprengte Teofilo auf die Brücke zu, um die Feinde aufzuhalten. Doch
immer mehr Sabiner stürmten das Bollwerk, und als hätten sie Flügel, sprangen
sie über die Hürde. Panisch vor Angst gaben die Verteidiger die Stellung auf
und ergriffen in Scharen die Flucht. Während sie versuchten, in die Gassen von
Trastevere zu entkommen, setzten die Angreifer ihnen nach und schlugen alles
tot, was sich ihnen in den Weg stellte.
»Der Papst! Sie haben den Papst!«
Gregorio warf sein Pferd herum. Mitten im schlimmsten Getümmel
versuchte Teofilo sich aus einer Umzingelung zu befreien. Mit den Sporen trieb
er sein Schlachtross an. Das Tier sprang mit allen Vieren in die Luft und
explodierte in einer Kavalkade, durch die ein Dutzend Angreifer
zurückgeschleudert wurde. Aber die Sabiner waren in der Ãberzahl, neue Angreifer
rückten nach, und während Teofilos Pferd sich wiehernd aufbäumte und mit den
Vorderhufen schlug, zog sich der Ring um Benedikt immer enger.
War die Schlacht verloren?
Plötzlich spürte Gregorio, wie sein Pferd zwischen seinen Schenkeln
zusammenschrumpfte. Das Tier knickte in
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