Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
damit gerechnet, dass sein Besucher so schnell damit
heraus rücken würde.
    Um Zeit zu gewinnen, sagte er: »Habt Ihr nicht die Beifallsbekundungen
gehört, die die Rückkehr Seiner Heiligkeit in die Stadt ausgelöst haben?«
    Â»Ein paar Verirrte, die jedem zujubeln würden, der die Tiara trägt«,
erwiderte Girardo. »Nein, so wie die Dinge liegen, wird dieser Papst sich keine
sechs Wochen auf der Cathedra halten, ohne dass ein neuer Krieg ausbricht. Das
wisst Ihr so gut wie ich. Das römische Volk hat sich von Benedikt losgesagt,
fast alle Familien haben sich gegen ihn ausgesprochen.«
    Â»Was erlaubt Ihr Euch, solche Behauptungen aufzustellen? Wisst Ihr
nicht, dass ich Euch dafür in den Kerker werfen lassen kann?«
    Â»Dessen bin ich mir bewusst. Aber mein Gewissen verbietet mir, zu
schweigen. Ich habe mit allen Edelmännern gesprochen.«
    Â»Ihr meint, mit Severo und den Sabinern?«
    Â»Nicht nur. Auch mit Bonifacio, dem Freund und Verbündeten der
Tuskulaner, genauso wie mit Vertretern der Stephanier und Oktavianer. Sie alle
sind der Überzeugung, dass Benedikt nicht länger die Heilige Stadt regieren
sollte, sondern …«
    Â»Und jetzt erwartet Ihr von mir, dass ich die Seiten wechsle?«, fiel
Petrus da Silva ihm ins Wort. »Um Silvester zu stützen, den Sabinerpapst?«
    Kaum hatte er die Frage ausgesprochen, bereute er seine Unbeherrschtheit.
Eigentlich gehörte es zu seinen Prinzipien, nie seine Gedanken preiszugeben,
bevor sein Gegenüber dies tat.
    Zu seiner Verwunderung hob Girardo di Sasso beschwichtigend die
Arme. »Nein«, sagte er, »nicht darum bin ich gekommen. Ich will Euch vielmehr
einen Vorschlag machen. Einen Vorschlag, der geeignet ist, die Streitigkeiten
innerhalb der Stadt dauerhaft zu beenden und die Pax Dei wiederherzustellen, den von Gott und uns allen gewollten Frieden.«
    Petrus da Silva gestand es sich nur ungern ein, aber er war gespannt.
Sollte dieser kleine, unscheinbare, schon vom Alter gebeugte Mann, den viele
Römer wegen seiner vorsichtigen Art belächelten, imstande sein, den Gordischen
Knoten zu lösen?
    Â»Ich denke, wir sollten uns vielleicht doch lieber setzen«, sagte
er.
    Â»Gern«, sagte Girardo, offenbar erleichtert über die Gesprächsbereitschaft
des Kanzlers. »Nur um eins möchte ich Euch vorab bitten: So sehr mein Vorschlag
Euch vielleicht irritieren mag – hört mich bitte bis zum Schluss an, bevor Ihr
Euer Urteil fällt.«
    Â»Genug der Vorrede! Zur Sache!«
    Ein wenig umständlich nahm Girardo auf dem Stuhl Platz, den Petrus
da Silva eigenhändig herbeirückte, und begann mit ernster Miene zu sprechen:
über die Interessen der verfeindeten Parteien, über das Ausbluten der
Bevölkerung, über die gärende Wut und Hoffnungslosigkeit der Menschen – alles Dinge,
die Petrus da Silva nur allzu sattsam bekannt waren. Doch kaum wechselte sein
Besucher von der Deutung der Lage zu den Maßnahmen, die seiner Ansicht nach
ergriffen werden sollten, da blieb dem Kanzler der Mund offen stehen, und je
länger Girardo in seiner Rede fortfuhr, umso größer wurde sein Erstaunen über
das, was dieser unscheinbare Mann in seiner bedächtigen Art vortrug.
    Hatte er richtig gehört?
    Der Vorschlag, den Girardo ihm unterbreitete, überstieg sogar Petrus
da Silvas Vorstellungskraft. Das war der außergewöhnlichste, verrückteste und
doch zugleich vernünftigste Plan, der ihm je zu Ohren gekommen war!
    13
    Sieben Wochen war Domenico tot. Sonntag für Sonntag hatte Chiara
in Santa Maria della Rotonda das Seelenamt zur Tilgung seiner Sündenstrafen
lesen und die Messfeiern zu seinem Gedenken in das Seelbuch eintragen lassen,
wie das Kirchengesetz es verlangte. Doch noch immer hauste die Trauer als
einziger Gast in ihrem Herzen, und so wenig sie sich vorstellen konnte, je
wieder andere Kleider zu tragen als die schwarzen, schmucklosen Gewänder, in
die sie sich seit dem Tod ihres Mannes hüllte, so unvorstellbar erschien ihr
der Gedanke, dass Glück und Freude eines Tages zurück in ihr Herz finden
könnten.
    Arbeit, hatte Abt Bartolomeo gesagt, Arbeit helfe immer,
gleichgültig, wie groß das Leid auch sei, an dem man trage …
    Zum Glück ging die Arbeit nicht aus. Gleich nachdem Chiara nach Rom
zurückgekehrt war, hatte sie sich mit Annas und Antonios Hilfe daran gemacht,
das Armenhaus wieder instand zu

Weitere Kostenlose Bücher