Der Kinderpapst
schwer.
»Ach, hätte ich doch ein Kind von dir â¦Â«
Wie ein Gebet flüsterte sie die Worte, während eine Schar Spatzen
sich in der Krone des Baumes niederlieÃ, der sich aus dem Grab ihres Mannes
erhob. So viele Jahre hatte Domenico ihr beigewohnt, nie war seine Hoffnung
erlahmt, ein Kind mit ihr zu zeugen, aber ihr Schoà war ein Friedhof gewesen â¦
War das die Strafe dafür, dass sie unfähig gewesen war, seine Liebe so zu erwidern,
wie er es verdient gehabt hätte?
Plötzlich spürte sie einen Druck an ihrem Arm.
Anna, ihre Zofe und einzige Freundin, trat an ihre Seite.
»Ich hatte mir Sorgen gemacht«, sagte sie. »Du warst so lange fort.«
Ãber ihnen, in der Krone des Baumes, begann es aufgeregt zu
zwitschern, und gleich darauf flatterte die Spatzenschar aus dem Laubwerk
wieder in die Höhe, der untergehenden Sonne entgegen.
»Ach Anna«, sagte Chiara. »Ich weià nicht, wie ich damit fertig
werden soll. Ohne mich würde er vielleicht noch leben. Ich ⦠ich habe ihn ⦠ich
habe ihn doch erst dazu gebracht, dass er â¦Â«
Ihre Stimme erstickte in ihren Tränen. Statt einer Antwort breitete
Anna einfach nur die Arme aus, und wie früher, in den Tagen ihrer Kindheit,
wenn sie nicht mehr weiter wusste, nahm Chiara Zuflucht bei ihr, in diesen
starken Armen, schloss die Augen und schmiegte sich an diesen groÃen, warmen
Körper.
»Was soll ich denn jetzt tun?«, flüsterte sie.
Anna drückte sie an sich. »Wir kehren nach Rom zurück«, sagte sie.
»Und machen uns wieder an die Arbeit.«
Geduldig wartete sie, bis Chiaras Tränen versiegt waren. Dann zog
sie ein Tuch aus ihrem Ãrmel und trocknete ihr Gesicht.
»Für heute hast du genug geweint«, sagte sie. »Zeit fürs Abendbrot.
Seit drei Tagen hast du nichts mehr gegessen.«
Mit einem aufmunternden Lächeln reichte sie ihr die Hand. Chiara
ergriff sie voller Dankbarkeit, und zusammen machten sie sich auf den Weg zur
Burg.
Als sie das äuÃere Tor erreichten, hörten sie lautes Hufgetrappel.
Zwei Reiter trabten ihnen entgegen: Severo, der Sabinergraf, und Bonifacio di
Canossa. Ohne ihre Pferde durchzuparieren, ritten sie an ihnen vorbei.
Die beiden Frauen schauten sich an.
»Was haben die hier zu suchen?«, fragte Chiara.
Anna zuckte mit den Schultern. »Ich weià nicht«, sagte sie. »Die
beiden waren schon da, als dein Vater und ich vom Friedhof kamen.«
11
»Es lebe der Papst! Es lebe Benedikt!«
Aus Tausenden von Kehlen schallten die Rufe der Römer zur Engelsburg
herauf. Teofilo stand am Fenster des Wehrturms und zündete das Banner der
Sabiner an, das er eigenhändig vom Fahnenmast gerissen hatte. Was für ein
Triumph! Wie im Rausch genoss er den Jubel seines Volkes, während die
brennenden Stoffbahnen im Wind auf den Tiber zutrieben. Die Fluten des Flusses
waren rot vom Blut seiner Feinde. Auge um Auge, Zahn um Zahn ⦠Silvester war
aus der Stadt geflohen, seine Soldaten hatten sich in alle Himmelsrichtungen
zerstreut, genauso wie ihre Heerführer, und wer es nicht geschafft hatte, sich
rechtzeitig aus dem Staub zu machen, war tot. Für jeden Soldaten, den seine
Gegner geköpft und geschändet hatten, hatte Teofilo zwei von ihren Leuten in
Jauche ertränkt und enthauptet. Die aufgespieÃten Schädel zierten jetzt nicht
nur die Zinnen der Engelsburg, sondern auch den Weg, der von der Festung zum
Tiber führte.
»Es lebe der Papst! Es lebe Papst Benedikt!«
Teofilo wartete, bis die letzten Fetzen der Sabinerfahne in der Luft
verbrannten und als Asche ins Wasser sanken. Dann schloss er das Fenster und
wandte sich an seinen Kanzler.
»Pflichtet Ihr mir nun bei, dass es richtig war, unsere Truppen
selbst anzuführen? Mein Bruder Gregorio und sein Regiment allein hätten niemals â¦Â«
»Du hast den Sieg so wenig herbeigeführt wie dein Bruder«, fiel
seine Mutter ihm ins Wort. »Gott hat das Erdbeben gesandt, um deine Feinde in
die Flucht zu schlagen. Ihm allein sei Lob und Dank! Meint Ihr nicht auch,
Eminenz?«
Der Kanzler verzog das Gesicht, als würde er wieder von Zahnschmerz
geplagt. »Die Wege des Herrn sind unerforschlich«, sagte er. »Doch was die
Verhältnisse in Rom angeht, so fürchte ich, dass dieser Friede nur von kurzer
Dauer sein wird. Ein Waffenstillstand, weiter nichts. In der ganzen Stadt gärt
und rumort es.
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