Der Kinderpapst
Pate?« Ermilina schnappte nach Luft. »Das ist nicht wahr!
Das ⦠das ist eine Ungeheuerlichkeit ⦠eine solche ⦠maÃlose, gottlose â¦Â«
Sie war so erregt, dass sie nicht weitersprechen konnte, und umklammerte
den Arm ihres Sohnes. Auch Teofilo verschlug es die Sprache. All die Worte und
Sätze, die durch den Raum geschwirrt waren, all die grotesken Vorschläge und
Pläne â er hatte sie gehört, doch er war auÃerstande, ihren Sinn zu erfassen.
Ungläubig schaute er in das Gesicht seines Kanzlers, der seinen
Blick so reglos erwiderte wie ein marmornes Standbild.
Wer von ihnen beiden hatte den Verstand verloren?
Ohne ein Wort riss Teofilo sich von seiner Mutter los und stürzte
aus dem Raum.
2
Die Glocken der Laterankirche waren verstummt. Die letzte Messe
des Tages war gelesen, die Priester und Diakone und Mönche aÃen ihr Abendbrot
oder hatten sich bereits zur Nacht in ihre Zellen zurückgezogen, als Teofilo
die düstere Basilika betrat und vor einem Seitenaltar niederkniete. Nicht um zu
beten, sondern um allein zu sein.
Vom Licht des drauÃen dahinschwindenden Tages sickerte nur
schmutziges, fahles Grau durch die schmalen Mauerschlitze in das Gotteshaus,
auf dessen geduckter Gewölbedecke das ganze Gewicht des Himmels zu lasten
schien. Aus Gewohnheit schlug Teofilo das Kreuzzeichen und murmelte ein paar
Verse des Stufengebets. Die verlassene Kirche war die einzige Zuflucht, in die
er sich hatte zurückziehen können, um seine Gedanken und Gefühle zu ordnen.
Welche Dämonen, welche Teufel der Unterwelt hatten dieses Schicksal
für ihn ausgeheckt?
Die dunkle, kühlfeuchte Leere des gewaltigen Raums umfing ihn wie
die unbehauste Höhle eines längst verstorbenen Riesen, und das Ewige Licht, das
über der Tür zur Sakristei blakte, vermehrte nur die Finsternis, aus der ihm,
undeutlich wie ein gespenstisches Schemen, der Heiland am Kreuz entgegentrat.
Für einen Moment war es, als würden ihre Blicke sich treffen. Ein
Seufzer entrang sich Teofilos Brust. War der Gekreuzigte sein Bruder, verraten
und verlassen wie er selbst?
Irgendwo gurrte eine Taube, und gleich darauf landete sie auf dem
Altar, wo sie mit ruckendem Kopf ihr Gefieder putzte. Konnte das ein Zufall
sein? In diesem Augenblick? Während die Taube in die Dunkelheit spähte, glaubte
Teofilo zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Gottes Gegenwart zu spüren. Ein
Schauer lief ihm über den Rücken. Nein, er war nicht allein in dem Gewölbe,
irgendein Wesen, irgendeine Macht war da und beobachtete ihn. Unwillkürlich
legte er die Hände zusammen. Doch statt sie zum Gebet zu falten, ballte er sie
zu Fäusten. Ja, es gab einen Gott, es musste einen
Gott geben. Kein Dämon, kein noch so böser Teufel war zu solcher Niedertracht
fähig wie dieser hasserfüllte Gott der Rache, der seinen eigenen Sohn geopfert
und ans Kreuz geschlagen hatte.
»Warum?«, flüsterte er. »Warum?«
Beim Klang seiner Stimme flatterte die Taube auf. Aus irgendeinem
Grund wollte er wissen, ob sie den Weg zurück ins Freie fand. Doch als er den
Kopf hob, war sie schon fort, und er sah in das Gesicht Gottvaters, der,
umgeben von einem goldenen Strahlenkranz, über dem Kreuz von Golgatha thronte.
Weidete er sich am Anblick der Schmerzen, die er aus der Höhe seines
fernen Himmels auf die Menschen herabsandte?
Plötzlich glaubte Teofilo, ein höhnisches Lachen zu hören. Nein,
dieser Gott war kein Gott der Liebe. Er hatte die Liebe nur in sein Herz
gesenkt, um ihn zu zwingen, sich die Liebe wieder auszureiÃen. Zweimal schien
das Glück zum Greifen nahe gewesen zu sein, und zweimal war es zerstoben, kaum
dass Teofilo die Hand danach ausgestreckt hatte, wie Feuerfunken in der
Osternacht. Und jetzt, da es zu spät war, da jede Hoffnung, die Liebe der Frau,
der sein Herz von allem Anfang an gehörte, jemals zurückzugewinnen, jetzt, da
diese Frau ihn fürchtete und mied, weil er ein Ungeheuer war, ein Verbrecher
und Mörder, der alles verraten hatte, was ihr heilig war, der prasste und hurte
und sich in der Sünde suhlte, um die unerträgliche Qual, die die Liebe ihm
zugefügt hatte, irgendwie zu ertragen â jetzt drängte man ihn, mit dieser Frau
den Bund der Ehe einzugehen.
Wenn es Gott gab, war er, Teofilo di Tusculo, seine allererbärmlichste
Spottgeburt.
Mit einem Ruck stand er auf. Er hielt es nicht länger aus
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