Der Kinderpapst
Chiara. »Jeden
Nachmittag habt ihr mich dazu gezwungen, Vater und du.«
»Und du hast dich aus dem Staub gemacht, sobald du nur konntest.
Einmal warst du bis an den See verschwunden, zusammen mit Francesca, um die
Wassergeister zu füttern, obwohl euch das streng verboten war. Ihr hattet
gerade angefangen, Brot in den See zu werfen, als ich euch erwischte. WeiÃt du
eigentlich noch, was du dir damals gewünscht hast?«
»Und ob ich das weië, sagte Chiara. »Ich hatte die Augen ganz fest
zugekniffen, wie Francesca mir gesagt hatte, und mir dabei vorgestellt, ich
würde eines Morgens aufwachen, und es wäre mein Hochzeitstag. Aber als ich die
Augen aufschlug, war kein einziger Wassergeist da, nur ein paar Fische. Und als
ich dann nach Hause kam â¦Â«
Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Als sie damals nach Hause
gekommen war, hatte ihr Vater sie in den Arm genommen und gesagt, dass sie
tatsächlich heiraten würde. Und für einen kurzen, wunderbaren Augenblick hatte
sie geglaubt, dass es die Wassergeister wirklich gab und sie ihr geholfen
hatten. Bis ihr Vater ihr eröffnet hatte, wen sie heiraten sollte.
Ihre linke Hand juckte, und weil sie es nicht haben konnte, nur auf
einer Körperhälfte etwas zu spüren, kratzte sie sich beide Hände.
»Ich weiÃ, was du gerade denkst«, sagte Anna. »Aber es ist nichts
Schlechtes dabei, wenn dein Wunsch jetzt trotzdem in Erfüllung geht. So ist das
Leben nun mal. Die Geister haben schon ihre Gründe, glaub mir, die wissen, was
sie tun.« Sie griff nach dem Brautkleid, das über einem Stuhl lag. »Ziehâs noch
mal an. Ich will den Saum abstecken.«
Chiara schaute auf das Kleid, ein Kunstwerk aus Brokat und Seide,
das Anna in nur zwei Wochen für sie geschneidert hatte. »Manchmal kommt mir
alles vor wie im Traum«, sagte sie und zog ihre Tunika aus.
»WeiÃt du schon, wann die Hochzeit sein soll?« Mit ein paar Nadeln
im Mund kniete Anna am Boden und wartete, dass Chiara das Kleid überstreifte.
»Gleich, wenn die vierzig Tage vorüber sind? Oder wollt ihr das volle
Trauerjahr abwarten, weil sonst die Leute reden?« Sie schaute zu Chiara in die
Höhe. »Warum wirst du rot? Hast du mir irgendwas verheimlicht?«
Obwohl sie sich ärgerte, dass Anna sie mal wieder durchschaute,
musste Chiara grinsen.
»Dann weià ich auch, was es ist«, sagte Anna. »Du hast heimlich die
Probe gemacht. Stimmtâs?«
Chiara nickte. Es hatte keinen Sinn, Anna etwas vorzuspielen. Es
ging einfach nicht.
»Und â was ist dabei herausgekommen?«
»Dass wir noch in diesem Jahr heiraten«, platzte Chiara heraus.
»Das heiÃt, der Kranz blieb gleich beim ersten Mal im Baum hängen?«
»Beim allerersten Mal.«
»Aber hast du auch alles richtig gemacht? Ohne zu mogeln? Hast du den
Kranz wirklich mit dem Rücken zum Baum geworfen? Ãber die Schulter, wie es sich
gehört?«
»Ich habe nicht mal geblinzelt.«
»Und du hast ihn aus neun verschiedenen Pflanzen geflochten?«
»Natürlich, einschlieÃlich Winde, Storchschnabel und Feldkraut. Sonst
wirkt es ja nicht.«
»Dann gibt es keinen Zweifel«, erklärte Anna. »Du wirst noch in
diesem Jahr seine Frau.«
»Aber nur, wenn wir rechtzeitig mit den Strümpfen fertig werden«,
lachte Chiara.
»Ach ja, die Strümpfe«, wiederholte Anna und fing an, den Saum abzustecken.
»Bist du sicher, dass es wirklich zwei verschiedenfarbige sein sollen?«
»Auf jeden Fall«, antwortete Chiara. »Das hat Teofilo schon früher
gemocht. Er hat es mir zwar nie verraten, aber ich habâs an seinen Augen
gesehen. Er hat immer wieder auf meine Waden geschaut, wenn ich sie anhatte.«
»Ach, Kindchen«, seufzte Anna, »muss Liebe schön sein. Aber sag â
weiÃt du schon, wo ihr leben werdet? In Rom oder in den Bergen?«
16
Wenn ihr fastet, macht kein finsteres
Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die
Leute merken, dass sie fasten. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn
bereits erhalten. Du aber salbe dein Haar, wenn du fastest, und wasche dein
Gesicht, damit die Leute nicht merken, dass du fastest, sondern nur dein Vater,
der auch das Verborgene sieht; und dein Vater, der das Verborgene sieht, wird
es dir vergelten.
Vierzig Tage und vierzig Nächte hatte Teofilo in der
Einsiedelei seines Paten
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