Der Kinderpapst
schnitt Heinrich ihm das Wort ab.
»Genug geredet! Es ist Zeit, Entscheidungen zu treffen. Ich denke,
Silvester und Benedikt werden bereits in Sutri sein. Morgen früh brechen wir
auf!«
7
Zwei Ministranten mussten Teofilo stützen, damit er nicht das
Gleichgewicht verlor, als er zum Stufengebet auf die Knie sank.
»Zum Altare Gottes will ich treten«, sprach er mit schwerer Zunge
die Worte, die er schon so oft gesprochen hatte, dass er sie im Schlaf aufsagen
konnte.
»Zu Gott, der mich erfreut von Jugend auf«, erwiderten die Diakone.
»Schaff Recht mir, Gott, und führe meine Sache gegen ein unheiliges
Volk, von frevelhaften, falschen Menschen rette mich.«
»Gott, du bist meine Stärke. Warum denn willst du mich verstoÃen?
Was muss ich traurig gehen, weil mich der Feind bedrängt?«
»Send mir dein Licht und deine Wahrheit, dass sie zu deinem heiligen
Berg mich leiten und mich führen â¦Â«
Teofilo stockte. Das Wort, das den Bittvers beschloss, fiel ihm
plötzlich nicht mehr ein. Wohin sollte das Licht ihn führen? In Gottes Haus? In
Gottes Zelt? Früher, wenn er das Gebet gesprochen hatte, ohne irgendeinen
Gedanken damit zu verbinden, waren die Worte ihm ganz von allein über die Lippen
gekommen. Doch jetzt, da er sie aus tiefster Seele empfand, da sie seine
eigenen Worte waren, versagte ihm die Zunge. War er so betrunken?
»Dort darf ich zum Altare Gottes treten, zu Gott, der mich erfreut
von Jugend auf.«
Ohne abzuwarten, dass er den Bittvers zu Ende sprach, setzten die
Diakone das Wechselgebet fort. Wahrscheinlich hatten sie sein Stocken gar nicht
bemerkt â von allen Kirchen Albanos läuteten die Glocken, sodass einem die
Ohren davon dröhnten, und auf dem beflaggten Marktplatz, auf dem Teofilo zum
Namenstag des heiligen Benedikt an diesem kühlen Novembertag die Messe zelebrierte,
herrschte Lärm wie auf einer Kirchweih.
»Wie kannst du da noch trauern, meine Seele? Wie mich mit Kummer
quälen?«
Während er zurück in das Gebet fand, erinnerte Teofilo sich
verschwommen, wie seine Brüder ihn in eine Sänfte gesetzt hatten, um ihn
hierher zu befördern, weil er nicht mehr imstande gewesen war, sich im Sattel
eines Pferdes zu halten. Warum nur hatte er so viel getrunken? Er hatte die
ganze Nacht von Chiara geträumt, sie waren über eine Wiese gelaufen, Hand in
Hand, sie hatten sich geküsst und geliebt und waren in die Wolkenburg
eingezogen, zusammen hatten sie die Zimmer eingerichtet, sogar die Schlafkammern
für ihre Kinder hatten sie bestimmt â drei Jungen und drei Mädchen. Umso
schlimmer war am Morgen das Aufwachen gewesen. Um den Tag zu überstehen, hatte
Teofilo noch vor dem Frühstück den ersten Becher Wein geleert.
»Vertrau auf Gott, ich darf ihn wieder preisen; er ist mein Heiland
und Gott.«
Was tat er hier? Warum trug er wieder den päpstlichen Ornat, den er
doch für immer abgelegt hatte? Sogar eine Tiara lastete auf seinem Kopf, ohne
dass er wusste, woher sie stammte. Nein, er hätte nicht trinken dürfen, er
wusste doch, wenn er damit anfing, konnte er sich nicht mehr beherrschen. Immer
wieder hatten seine Brüder ihm Wein gereicht, einen Becher nach dem anderen,
den ganzen langen Weg von der Burg bis nach Albano, und immer wieder hatte er
getrunken, um seinen Traum zu vergessen, das Glück, das er mit Chiara darin
genossen hatte. Mit der Messe zu Ehren seines Namenspatrons sollte er das Volk
besänftigen, damit wieder Friede in der Grafschaft herrschte. Dafür hatte
Gregorio ihm versprochen, ihn nicht mehr zur Reise nach Sutri zu drängen. Und
dass Chiara der Peterspfennig für immer gehöre und kein Tuskulaner ihr dieses
Vorrecht je streitig machen würde.
»Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste.«
Während Teofilo auf den Knien die nächste Stufe des Altars erklomm,
wurden in seinem Rücken Pfiffe und Buhrufe laut. Irritiert schaute er über die
Schulter. Wohin er auch blickte, überall auf dem Platz sah er wütende
Gesichter. Kein Zweifel, die Messe bewirkte das Gegenteil von dem, was sie
bezwecken sollte â statt die Menschen zu besänftigen, forderte sie ihren Zorn
heraus. Wie in seinem Gebet war Teofilo von feindlichem Volk umgeben, von
aufgebrachten Menschen, vor denen eine Hundertschaft Soldaten ihn schützen
musste, die unter Gregorios Kommando vor dem Podium postiert waren.
»Wie es war
Weitere Kostenlose Bücher