Der Kinderpapst
Priester.
16
»Bonifacio und Euer Bruder haben sich dem Bischof von Brixen
entgegengestellt«, sagte Settembrini, Benedikts Zeremonienmeister, der seit
zwei Tagen den Kardinalspurpur trug. »Heinrichs Kandidat gelangt nicht über die
toskanische Grenze.«
»Woher habt Ihr die Nachricht?«
»Ein Bote Eures Bruders hat sie soeben überbracht.«
»Sehr gut. Danke.«
Teofilo nickte. Gregorio hatte es also geschafft ⦠Aber â kam es
jetzt überhaupt noch darauf an? Teofilo hatte Gott darum gebeten, ihn so lange
im Amt zu belassen, bis seine Unschuld erwiesen war, und dafür hatte er dem
Herrn versprochen, als Papst seinen Willen zu tun und ihm ein würdiger
Stellvertreter zu sein. Gott hatte seinen Teil des Pakts erfüllt. Teofilo
konnte beweisen, dass er kein Mörder war, und Chiara von dem Verdacht befreien,
den sie gegen ihn hegte. Wie um sich zu vergewissern, blickte Teofilo noch
einmal auf das Geständnis des meineidigen Mönchs in seiner Hand.
»Gott sei deiner armen Seele gnädig«, flüsterte er und steckte den
Zettel wieder in den Ãrmel seines Ornats.
Als Bonifacio ihm das Beweisstück ausgehändigt hatte, war es
Teofilos dringlichster Wunsch gewesen, Chiara das Geständnis sogleich zu
zeigen. Doch er wollte ihr nicht vor die Augen treten, bevor der Peterspfennig
aus den englischen Diözesen in Rom eingetroffen war. Jetzt hatte er die
Reformen in Kraft gesetzt, die er Gott schuldete, und die Gelder aus England
waren eingetroffen, fünfhundert Pfund Silber. In einer Truhe, die Teofilo am
Morgen in den Audienzsaal hatte bringen lassen, warteten sie auf ihre Eigentümerin.
Würde er heute Chiara wieder sehen? Nichts sehnte er mehr herbei als
ihre Gegenwart. Doch dann? Er wusste, wenn er sie heute sehen würde, dann würde
es zum letzten Mal in seinem Leben sein. Aufgeregt trat er ans Fenster und
schaute hinaus. Er hatte Chiara für den Nachmittag zu sich rufen lassen, und
jetzt läuteten schon die Glocken zum Angelus. Doch im Hof lungerten nur ein
paar sich langweilende Wachen herum.
»Ich rate Eurer Heiligkeit dringend ab, schon jetzt die Zahlung zu
leisten«, sagte Settembrini.
»Was spricht dagegen?«, fragte Teofilo, ohne sich vom Fenster
abzuwenden.
»Der Vertrag, den Ihr mit Eurem Vorgänger, Papst Gregor, geschlossen
habt. Die Zahlung darf erst erfolgen, wenn die Begünstigte ein Kloster
gegründet hat. Davon kann aber keine Rede sein. Chiara di Sasso hat noch nicht
mal der Welt entsagt.«
Teofilo drehte sich herum. »Meint Ihr, Gott schaut auf Paragraphen?«
»Gott vielleicht nicht«, erwiderte Settembrini und rückte selbstverliebt
seinen neuen Kardinalshut zurecht. »Aber die Welt tut es gewiss. Und sollte es
dem Bischof von Brixen irgendwann mit Heinrichs Hilfe gelingen, tatsächlich
nach Rom zu gelangen â¦Â« Statt den Satz zu Ende zu sprechen, hob er vielsagend
die Brauen.
Teofilo zögerte. War Settembrinis Einwand nur ein Gebot der
politischen Vernunft? Oder hatte er eine tiefere Bedeutung? Wieder nagte der
Zweifel an ihm, derselbe Zweifel, der an ihm nagte, seit er beschlossen hatte,
Chiara von seiner Unschuld zu überzeugen.
Hatte er überhaupt das Recht, sich vor ihr rein zu waschen?
Du darfst Chiara di Sasso niemals sagen, weshalb
du sie verschmähst ⦠Sie soll dich hassen. Das ist das Opfer, das Gott von dir
verlangt â¦
»Ist Euch nicht wohl, Heiligkeit?«
Settembrini schaute ihn an, wie man ein krankes Kind anschaut.
Teofilo stieà ihn beiseite. Er hielt es nicht mehr aus, er musste irgendetwas
tun.
»Was habt Ihr vor?«
»Die Wachen instruieren. Sie sollen Chiara di Sasso vorlassen,
sobald sie erscheint. Sofort!«
»Aber, Heiligkeit, doch nicht Ihr persönlich. Bitte lasst mich â¦Â«
Teofilo hörte nicht auf ihn. Noch während Settembrini sprach, ging
die Tür auf.
»Endlich!«
Ohne Rücksicht auf das Protokoll, eilte Teofilo ihr entgegen. Doch
er war noch keine zwei Schritte weit gekommen, da verharrte er. Denn nicht
Chiara erschien in der Tür, sondern ihr Vater, Girardo di Sasso.
»Wo ist Eure Tochter? Ich hatte gehofft â¦Â« Die Worte verhungerten
auf seinen Lippen.
Girardo di Sasso kniete vor ihm nieder, wie das Ritual es verlangte.
Entgeistert streckte Teofilo ihm die Hand entgegen.
»Meine Tochter hat mich als ihren Vertreter geschickt«, sagte
Girardo, nachdem er den
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