Der Kinderpapst
Teofilo. Und in
diesem Brief bat er sie, sie noch einmal wiedersehen zu dürfen, bevor sie den
Schleier nahm und für immer hinter den Mauern eines Klosters verschwand. Ohne
den Blick zu heben, reichte sie Abt Bartolomeo das Schreiben.
Ich weiÃ, dass Ihr mich hasst, und ich habe
Euren Hass verdient. Trotzdem bitte ich Euch noch einmal, mir zu vertrauen.
Vielleicht gefährde ich mit dieser Bitte mein Seelenheil, aber die Vorstellung,
dass ich nie wieder Eure Stimme höre, nie wieder Euer Gesicht sehe, nie wieder
die Luft atme, die Ihr atmet, bevor ich mit Gott meinen Frieden mache, ist
schlimmer als die ewige Verdammnis. Ihr müsst mich freisprechen von dem
Verdacht, der auf mir lastet, nur Ihr könnt mich von diesem Fluch erlösen. Was
die Welt sonst denkt, ist mir gleichgültig, aber Ihr? ⦠Ach, Chiara â Chiara
Chiara Chiara, ich kann nicht aufhören, Deinen Namen auszusprechen, und rufe
Dich an, wie ich die Erzengel und Heiligen angerufen habe. Gewähre mir diese eine
Bitte, und ich schwöre Dir, ich werde von meinem Amt zurücktreten und wie Du in
ein Kloster eintreten. Doch ich weià nicht, was ich tun werde, wozu ich fähig
bin, wenn Du mir diesen einen, allerletzten Wunsch verweigerst â¦
Die Worte hatten sich wie mit einem glühenden Eisen in Chiaras
Herz gebrannt, und während Abt Bartolomeo sie flüsternd las, wiederholte sie
sie in Gedanken, Buchstabe für Buchstabe.
»Glaubt Ihr, Teofilo di Tusculo hat noch Absichten auf Euch?«,
fragte ihr Beichtvater, nachdem er die Lektüre beendet hatte.
»Ich weià es nicht«, sagte Chiara, den Blick weiterhin zu Boden
gerichtet. »Ich weià es wirklich nicht. Ich weià ja nicht einmal, ob er ein
Mörder ist.«
»Ihr zweifelt also an seiner Unschuld, obwohl Ihr ihn liebt?«
Chiara hob den Kopf. »Was sagt Ihr da?«
Abt Bartolomeo erwiderte ihren Blick. »Nicht mehr, als was Ihr
selbst am besten wisst: dass Ihr diesen Mann liebt, obwohl Ihr an ihm zweifelt.
Und dass Ihr an ihm zweifelt, obwohl Ihr ihn liebt.«
18
Quälend langsam verstrichen die Tage, während Petrus da Silva
auf die Rückkehr des Boten wartete. Er hatte einen Reiter über die Alpen
geschickt, um Heinrich vom Widerstand der Italiener gegen den kaisertreuen
Bischof von Brixen in Kenntnis zu setzen. Die Antwort war längst überfällig. Seit
mehr als einem Monat standen die zwei ungleichen Gegner einander an der Grenze
der Toskana gegenüber und belauerten sich wie vor Ausbruch eines Krieges: auf
der einen Seite der kleine Tross von kaum zwei Dutzend Männern, der Poppo und
den Kanzler begleitet hatte, und auf der anderen Seite das vielhundertköpfige
Heer des Toskanagrafen.
»Wenn sie uns angreifen, sind wir verloren!«, jammerte Poppo. »Ach,
wäre ich doch nur in Brixen geblieben.«
»ReiÃt Euch zusammen«, erwiderte Petrus da Silva, der selber um seine
Beherrschung ringen musste. »Bonifacio wird es nicht wagen, Euch auch nur ein
Haar zu krümmen. Ihr untersteht dem Schutz des Kaisers.«
»Aber wenn Heinrich mich aufgegeben hat? Der Bote müsste doch längst
wieder hier sein.«
Darauf wusste Petrus da Silva nichts zu erwidern. Der Mann hatte ja
Recht! Ein guter Reiter konnte im Sommer bis zu dreiÃig Meilen am Tag
zurücklegen, mit Pferdewechsel sogar fünfzig oder sechzig. Bis Pöhlde,
Heinrichs Residenz im Harz, waren es hin und zurück eintausendzweihundert Meilen.
Selbst wenn man berücksichtigte, dass auf dem Brennerpass die Wege noch unter
der letzten Schneeschmelze litten, war mehr als genügend Zeit vergangen, die
man für eine solche Strecke brauchte, und mit jeder Stunde, die ohne Rückkehr
des Boten verstrich, schwand Petrus da Silvas Hoffnung auf einen Erfolg seiner
Mission.
»Ihr solltet eine Messe beten«, empfahl er dem Bischof.
»Meint Ihr, das hilft?«, fragte Poppo. »Ich lese die Messe fünfmal
am Tag, aber bisher â¦Â«
»Wie schwach ist Euer Glaube!«, fiel Petrus da Silva ihm ins Wort.
»Vergesst Ihr, wer Ihr seid? Ihr sollt die Heilige Stadt regieren, als Gottes
Stellvertreter!«
»Aber vielleicht war alles nur ein groÃer Irrtum!«
»Die Vorsehung irrt nicht. Also betet, verflucht noch mal! Und sei
es nur, um Eures Kleinmuts Herr zu werden.«
Wie ein Priesterschüler, der den Zorn seines Lehrers fürchtet,
zuckte Poppo zusammen und gehorchte. Mit eingezogenem Kopf
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