Der Kinderpapst
Severo.
»Seid Ihr bereit, Eure Aussage zu machen?«
Als Gregorio den Kopf hob, sah er, wie Chiara einen Blick mit ihrem
Vater tauschte. Girardo nickte ihr zu und verlieà seinen Platz.
Was hatte das zu bedeuten?
»Ja«, sagte Chiara. »Ich will meine Aussage machen.«
»Dann sprecht und bezeugt die Wahrheit, vor Gott und der Welt. Hat
der Angeklagte von dem Messer, das Euer Gemahl in seiner Hand gesehen hat,
Gebrauch gemacht?«
Chiara bejahte.
»Welchen Gebrauch hat er von dem Messer gemacht?«
»Er hat mit dem Messer seinen Vater erstochen.«
»Alberico?«
»Ja«, bestätigte sie. »Den Grafen von Tuskulum.«
Gregorio stöhnte auf. Wenn Chiara ihre Aussage unter Eid wiederholte,
war er ein toter Mann. Unfähig, der Verhandlung weiter zu folgen, schlug er die
Hände vors Gesicht. Der Geist seines Vaters hatte ihm in der Nacht gesagt, wenn
er heute verurteilt würde, müsste er für immer in der Hölle brennen. Während
der Richter Chiara fragte, ob jeder Irrtum ausgeschlossen sei, ob ihr Mann in
der Stunde seines Todes vielleicht Gesichter gesehen oder wirre Dinge
gesprochen habe, glaubte Gregorio bereits die Flammenhitze des ewigen Feuers zu
spüren â¦
Da legte sich eine Hand auf seine Schulter.
»Wo ist das Kind?«, flüsterte jemand in seinem Rücken.
Als er herumfuhr, sah er in das Gesicht von Girardo di Sasso.
»Sagt mir, wo Ihr das Kind versteckt habt. Dann wird meine Tochter
ihre Aussage widerrufen.«
Gregorio verstand nicht. Er sah nur Girardos bohrenden Blick.
»Wo â ist â das â Kind?«
Gregorio lief ein Schauer über den Rücken. Noch nie hatte er Girardo
so ernst und entschlossen gesehen. Er versuchte, seinem Blick standzuhalten,
doch plötzlich spürte er, wie seine Zähne aufeinanderschlugen. Panisch vor
Angst wandte er sich ab.
Vom Richtertisch blickte der Sabinergraf auf ihn herab wie ein
Raubtier, das darauf wartet, sein Opfer zu fressen.
Jetzt gab es nur noch einen Ausweg.
»Kennt Ihr die Laterna Rossa?«, zischte er. »Fragt nach Sofia. Aber
beeilt Euch â ich flehe Euch an!«
17
Was waren das für Heimlichkeiten? Irritiert sah Petrus da Silva
die Zeichen des Einverständnisses zwischen dem Angeklagten und dem Vater der
Zeugin. Wurden da irgendwelche Absprachen getroffen? Jetzt eilte Girardo di
Sasso im Laufschritt aus dem Saal. Wie immer, wenn Dinge geschahen, die Petrus
da Silva nicht verstand, beschlich ihn ein ungutes Gefühl.
»Ich fordere das Gericht auf, Chiara di Sasso unter Eid zu nehmen«,
sagte er. »Damit Ihr Euer Urteil fällen könnt!«
Der Richter wandte sich an die Zeugin.
»Seid Ihr bereit, Eure Aussage beim dreifaltigen Gott zu beschwören?«
Chiara zögerte.
»Habt Ihr meine Frage nicht verstanden?«
»Doch, das habe ich.«
»Warum gebt Ihr dann keine Antwort?«
»Weil ⦠ich ⦠ich warte noch auf meinen Vater.«
»Was hat Euer Vater mit Eurem Eid zu tun?«
»Ich bitte nur um ein wenig Zeit. Mein Vater kehrt gleich zurück.
Erst dann kann ich den Eid leisten.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Es geht nicht anders. Sobald mein Vater zurück ist, werdet Ihr
begreifen.«
Der Richter warf einen Blick auf den Papst. Leos Gesicht verfinsterte
sich. Petrus da Silva sah es mit Besorgnis. Bereute Seine Heiligkeit, die
Erlaubnis zur Befragung einer Frau gegeben zu haben, und erwog jetzt womöglich,
diese zu widerrufen?
»Edle Herrin«, wandte Severo sich wieder an die Zeugin, »wenn Ihr
Zweifel habt, Eure Aussage zu beschwören, bedenkt die Folgen. Einen Meineid bestraft
Gott mit der Hölle.«
»Es geht nicht um mein Seelenheil.«
»Worum geht es dann?«
»Es geht ⦠es geht um mein ⦠um meinen â¦Â«
Sie verstummte.
Petrus da Silva ballte die Hand zur Faust. Wollte diese Frau das
Gericht zum Narren halten?
Auch Severo wurde ungeduldig. »Wir haben nicht ewig Zeit«, sagte er.
»Wenn Ihr nicht bereit seid, einen triftigen Grund zu nennen, weshalb das
Gericht auf Euren Vater warten soll, verlange ich, dass Ihr jetzt den Eid
leistet. Jetzt gleich!«
Ãngstlich erwiderte die Zeugin Severos Blick, dann schaute sie zur
Tür, durch die ihr Vater verschwunden war, dann auf den Angeklagten, dann
wieder zur Tür, als würde sie von dort ihr Heil erhoffen.
»Entscheidet Euch! Entweder Ihr leistet jetzt den Eid,
Weitere Kostenlose Bücher