Der Kinderpapst
hermelinverziertem Purpur
auf seinem Thron, entschlossen, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gelten
zu lassen: Gottes einziger und würdiger Stellvertreter.
Petrus da Silva rieb sich die müden Augen. Fast die ganze Nacht hatte
er in seinem Kabinett gearbeitet, um die Anklage so sorgfältig wie möglich
vorzubereiten. Vor allem hatte er geprüft, ob das Zeugnis einer Frau vor
Gericht so viel galt wie die Aussage eines Mannes. Papst Leo legte gröÃten Wert
auf ein ordentliches Verfahren â das Urteil sollte Gerechtigkeit schaffen! Doch
Petrus da Silva war guter Dinge. Der Fall war so klar, wie ein Fall nur sein
konnte, die Aussage der Zeugin, Chiara di Sasso, erlaubte keinen Zweifel am
Tathergang, und der Richter, Sabinergraf Severo, war ein Erzfeind des
Angeklagten und würde wenig Neigung zeigen, ihn freizusprechen. Sobald das
Urteil gefällt war, würde die Macht der Tuskulaner für immer gebrochen und die
Zeit der Kriege vorbei sein.
Auf ein Zeichen des Papstes eröffnete Severo die Verhandlung. Als
Erstes forderte er den Kanzler auf zu sprechen.
»Wie lautet Eure Anklage?«
Petrus da Silva erhob sich von seinem Stuhl.
»Wir bezichtigen den Angeklagten des Mordes«, erklärte er mit fester
Stimme, »des Mordes an Alberico, Graf von Tuskulum.«
»Lüge!«, rief Gregorio und sprang auf. »Das ist nicht wahr! AuÃerdem
protestiere ich, dass ein Sabiner über mich zu Gericht sitzt!«
»Wer über Euch zu Gericht sitzt, habt nicht Ihr zu entscheiden!«,
erklärte der Kanzler.
Gregorio warf einen Hilfe suchenden Blick auf den Papst. Doch der
schien ihn gar nicht zu sehen. Auf einen Wink Severos nahmen zwei Soldaten ihn
zwischen sich und führten ihn zurück an seinen Platz.
»Fahrt in Eurer Anklage fort!«, forderte der Sabiner Petrus auf.
»Nennt Zeit und Ort der Tat.«
»Die Tat ereignete sich in der Basilika des Papstes, während der
Fürbittmesse zum Hochfest der Apostel Peter und Paul im Jahre 1037. Im
Augenblick der heiligen Wandlung gab es einen Aufruhr unter dem Volk, der sich
gegen den Bruder des Angeklagten richtete. Den Tumult hat dieser genutzt, um
heimtückisch seinen Vater mit einem Messer zu erstechen.«
»Worauf gründet Eure Klage?«, wollte der Sabinergraf wissen.
Petrus da Silva fixierte Gregorio mit seinem Blick.
»Der Angeklagte hat mir den Mord selber gestanden.«
»Wann ist das gewesen?«
»Wenige Zeit nach dem Anschlag, noch im selben Jahr der Tat.«
»Warum habt Ihr nicht schon damals Klage erhoben?«
»Es fehlte ein Zeuge, um den Beweis zu führen.«
»Und jetzt? Gibt es einen Zeugen?«
Wieder sprang Gregorio von seinem Platz auf.
»Nein!«, rief er und schaute sich panisch um. »Das heiÃt â doch!«
»Wie jetzt? Ja oder nein?«
Gregorio zögerte einen Moment. »Ja«, sagte er dann. »Meinen Bruder!
Teofilo di Tusculo!«
Der Richter hob überrascht die Braue. »Ihr meint, den vormaligen
Papst, Benedikt IX .?«
»Ja«, bestätigte Gregorio. »Ich verlange, dass Ihr meinen Bruder als
Zeugen ladet.«
Ein Raunen ging durch den Saal. Der Papst winkte den Sabinergraf zu
sich und tauschte mit ihm ein paar leise getuschelte Worte. Petrus da Silva
strengte seine Sinne an, um zu hören, was die zwei besprachen, doch er konnte
nichts verstehen. Nach einer Weile kehrte Severo an den Richtertisch zurück,
und auf einen geflüsterten Befehl des Papstes verlieà ein Soldat den Saal.
Severo wandte sich wieder an den Kanzler.
»Ist Teofilo di Tusculo der Zeuge, den Ihr benennen wolltet?«
Petrus da Silva verneinte.
»Sondern?«
Bevor er Antwort gab, rief er sich noch einmal alle Argumente in
Erinnerung, die er in den Schriften der Kirchenväter gefunden hatte, um eine
Frau in den Zeugenstand zu rufen.
»Meine Zeugin«, erklärte er, »ist Chiara di Sasso, die Witwe des
Crescentiers Domenico.«
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»Habe ich richtig gehört, Eminenz?«, fragte der Richter. »Ihr
wollt eine Frau in den Zeugenstand rufen?«
»Ja, Euer Gnaden. Chiara di Sasso wird unsere Klage stützen. Und den
Beweis erbringen, dass der Angeklagte seinen Vater umgebracht hat.«
Chiara spürte, wie alle Blicke sich auf sie richteten, die Blicke
Dutzender Männer. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie die einzige Frau im
Saal war.
Plötzlich wurden Stimmen laut.
»Unerhört!«
»Frauen
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