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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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stürmte in den
Altarraum.
    Â»Nieder mit dem Papst! Nieder mit dem Zauberer!«
    Voller Entsetzen sah Ermilina, wie die Männer sich auf ihren Sohn
stürzten. Mit Gürteln und Stricken fielen sie über ihn her, von allen Seiten,
immer mehr: Sabiner und Stephanier, Oktavianer und Crescentier – sogar
Bonifacio, der Markgraf von Tuscien, war in der Horde.
    Â»Nieder mit dem Papst! Nieder mit dem Zauberer!«
    Ermilina hielt es nicht an ihrem Platz. Auch ihr Mann war aufgesprungen,
genauso wie Gregorio, zu dritt versuchten sie, durch das Gewühl zu dringen, um
Teofilo zu helfen. Doch es war unmöglich, ihn auch nur zu berühren. Die ganze
Kirche war in Aufruhr, rund um den Altar tobte der Kampf, mit bloßen Fäusten
schlugen die Männer aufeinander ein. Ermilina konnte weder Freund noch Feind
unterscheiden, so wenig wie Täter und Opfer.
    Wo um Himmels willen war ihr Sohn?
    Für einen Moment sah sie sein Gesicht, verzerrt von Todesangst,
inmitten wütender Angreifer, die mit hundert Armen versuchten, Stricke und
Gürtel um seinen Hals zu schlingen.
    Plötzlich blitzte ein Messer zwischen den Leibern auf, dann ein
Schrei, wie von einem Tier auf der Schlachtbank.
    Ermilina stockte das Blut in den Adern.
    Â»Herr, erbarme dich!«
    Noch während sie die Worte hervorstieß, geschah etwas, das kein Auge
je gesehen hatte. Wie bei einem Gewitter verdunkelte sich das Innere des
Gotteshauses, und im nächsten Moment war die Basilika in ein unheimliches,
safrangelbes Licht getaucht.
    Die Männer, die eben noch übereinander hergefallen waren, verharrten
in der Bewegung. Während sie die Arme sinken ließen, verebbte der Lärm, und in
der Totenstille starrten alle, ob Freund oder Feind, zur Quelle dieses seltsam
gelben Lichts, mit bleichen Gesichtern, gebannt von dem Wunder, das durch das
Fenster sichtbar wurde.
    Als wäre der Tag des jüngsten Gerichts angebrochen, war die Sonne
vom Himmel verschwunden. Stattdessen stand eine schwarze, runde Scheibe am
Firmament, umstrahlt von einem Kranz überhellen, gleißenden Lichts, in dem das
Auge zu erblinden drohte.

DRITTES KAPITEL: 1037
    OHNMACHT
    1
    Auch in den Bergen südlich von Rom hatte man die merkwürdige
Himmelsverfinsterung beobachtet, als sich plötzlich am helllichten Tag der Mond
wie eine schwarze Scheibe vor die Sonne geschoben hatte. Doch niemand hatte das
Zeichen zu deuten gewusst.
    Hatte es überhaupt etwas zu bedeuten?
    Jetzt flutete das Licht wieder auf die Erde herab, als wäre nichts
geschehen. Die Pferde und Kühe, die am Morgen von einer merkwürdigen Unruhe
befallen waren, grasten zufrieden wie immer auf den Weiden, die Hunde jagten
die Katzen auf die Bäume, wie sie es überall auf der Welt taten, und die
Nachtvögel waren in den Wäldern verschwunden.
    Nur das harmlose Zwitschern der Singvögel erfüllte die Luft dieses
Frühsommertags, als Chiara zur Mittagszeit mit Annas Hilfe im Hof der
Crescentierburg Essen an die Armen ausgab. Nach Francescas Tod hatte sie
Domenico um Erlaubnis gebeten, Armenspeisungen abzuhalten. Seitdem kamen jeden
Sonntag Hunderte von Menschen aus den umliegenden Kirchen nach der Messfeier
auf die Burg, um sich um einen mannshohen Kessel zu scharen, den Chiara eigens
zu diesem Zweck hatte schmieden lassen. Wenigstens in ihrer Grundherrschaft
sollte niemand mehr an Hunger sterben.
    Â»Möchtest du ein oder zwei Kellen?«, fragte sie einen barfüßigen
Jungen, der nur ein zerrissenes Hemd am Leib trug und kaum bis zur halben Höhe
des Kessels reichte.
    Â»Bitte zwei«, flüsterte er und streckte ihr mit beiden Händen seinen
Holzteller entgegen.
    Â»Kommt gar nicht in Frage!«, erwiderte Chiara mit gespielter
Strenge. »Du bekommst nämlich drei!«
    Sie tauchte den Schöpflöffel tief in die Suppe, um möglichst viel
Fleisch und Gemüse herauszufischen, und füllte seinen Teller.
    Â»Ist das wirklich alles für mich?« Der Junge konnte sein Glück kaum
fassen. Mit ungläubigen Augen schaute er sie an, als wäre sie eine Fee.
    Â»Nur für dich«, bestätigte sie. »Und vergiss nicht, Brot für die
Woche mitzunehmen.«
    Ãœber das ganze Gesicht strahlend, stopfte er sich einen Laib unter
sein Hemd, und als hätte er Angst, dass ihm jemand etwas wegessen könnte,
verschwand er mit der Suppe und dem Brot in den hintersten Winkel des Hofes.
Während Chiara die nächsten Teller

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