Der Kinderpapst
Hochamtes
aufforderten, ihre Schwerter und Dolche abzugeben. Die meisten Edelmänner kamen
dem Befehl zur Entwaffnung nur unter Protest nach. Ihr Unmut freilich war der
Beweis, wie dringend erforderlich die MaÃnahme war, um die Sicherheit in dem
Gotteshaus während der Messfeier zu gewährleisten und den Papst vor Angriffen
zu schützen.
Die Tiara auf dem Kopf, ganz in WeiÃ, der Farbe des Lichts,
gewandet, thronte Teofilo auf der Cathedra. Selten hatte er sich so unwohl
gefühlt wie in dieser Stunde, für die ihm sein Taufpate ein Zeichen Gottes
verheiÃen hatte. Seine Samtstrümpfe, die mit Bändern an den Waden befestigt
waren, rutschten immer tiefer auf die mit Edelsteinen und Perlen verzierten
Lederhalbschuhe herab und juckten dabei so fürchterlich, dass er fast verrückt
wurde, doch er durfte sich nicht bücken, um sich zu kratzen. Während er unruhig
an der Manipel zupfte, einem schmalen Ziertuch, das ihn an die Mühe und den
Schweià des Priesteramtes gemahnte, spürte er wie Nadelstiche all die Blicke,
die in der übervollen Basilika auf ihn gerichtet waren. Blicke von Kardinälen,
Bischöfen und Priestern ⦠Von Herzögen und Grafen, von Rittern und Knappen â¦
Vor allem aber Blicke von hungernden, abgemagerten Männern und Frauen, Kindern
und Greisen, die ihre ganze Zuversicht und Hoffnung in einen einzigen Menschen
setzten â in ihn, Papst Benedikt IX ., Pontifex
maximus und Stellvertreter Gottes auf Erden.
»Kyrie eleison!«
»Christe eleision!«
Als Teofolio sich von seinem Thron erhob, um die Fürbitten anzustimmen,
überfiel ihn eine Angst, die gröÃer war als alle Zuversicht und Hoffnung. Wie
sollte er erfüllen, was von ihm erwartet wurde? Wie all das Unheil beenden, das
von der Stadt Besitz ergriffen hatte und ihre Bewohner bedrohte? Die Hungersnot
und das Viehsterben, das Rauben und Plündern, das Morden und Vergewaltigen?
Wenn wenigstens sein Taufpate da gewesen wäre! Aber Giovanni Graziano war
wieder in seine Einsiedelei zurückgekehrt, und auch Chiara suchte Teofilo in
der dunklen Basilika vergebens. Er sah nur ihren Mann Domenico, der zwischen
den Patriziern der Messe beiwohnte, Seite an Seite mit dem Grafen von Tuskulum
und dessen Söhnen.
Einsam und verloren, strengte Teofilo seinen ganzen Willen an, um
den Bittgesang ohne Zittern in der Stimme hinter sich zu bringen.
»Herr, erbarme dich unser!«
Aus tausend Kehlen fiel das Volk in die Fürbitte ein: ein Chor der
Verzweiflung und des Leidens, in der Hoffnung auf ein Wunder.
»Christus, erbarme dich unser!«
Teofilo trat an den Altar, um die heilige Wandlung zu feiern. In
seiner Ohnmacht sandte er ein StoÃgebet zum Himmel. Nur wenn es ihm gelang, das
Brot in den Leib Christi, den Wein in das Blut Jesu zu verwandeln, würde Gott
ganz und gar gegenwärtig sein, und das Erlösungswerk, das all die Menschen sich
von ihrem Papst erhofften, konnte geschehen.
Während die Schar der Gläubigen niederkniete, griff er mit beiden
Händen nach dem Brot und hob es in die Höhe.
» Hoc est enim corpus meum .
Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.«
Als er den Kelch nahm, um auch den Wein zu wandeln, in des
gekreuzigten Heilands heiliges Blut, schloss Teofilo die Augen.
Würde Gott ihm hier und jetzt das Zeichen geben, das sein Pate ihm
verheiÃen hatte?
16
Gottes Gegenwart erfüllte die Basilika, als Teofilo den Kelch
in die Höhe hob. Während Messdiener zur Wandlung ihre Schellen klingeln lieÃen,
faltete Ermilina die Hände, beseelt von der Weihe des Augenblicks.
»Hic est enim Calix Sanguinis mei, novi et
aeterni testamenti: mysterium fidei: qui pro vobis et pro multis effundetur in
remissionem peccatorum« , sprach Teofilo. »Das ist der Kelch meines Blutes,
des Neuen und ewigen Bundes, Geheimnis des Glaubens, das für euch und für alle
vergossen wird zur Vergebung der Sünden.«
Während er den Kelch mit beiden Händen den Gläubigen entgegenstreckte,
um ihnen das Blut Christi zu zeigen, strebten seine Worte wie die Flamme einer
Kerze zum Himmel hinauf.
Da gellte ein Schrei durch das Gotteshaus.
»Nieder mit dem Papst! Nieder mit dem Zauberer!«
Vor Schreck lieà Benedikt den Kelch fallen. Während der blutrote
Wein sich über den Boden ergoss, brach aus der Schar der Patrizier ein Dutzend
Männer hervor, angeführt von Ugolino, dem Sabiner, und
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