Der Kinderpapst
es zu dem Mord an ihrem Mann
gekommen war. Doch Gregorio war unfähig, den Hergang der Dinge zu schildern. Er
war so durcheinander, als hätte der Anschlag ihm selber gegolten. Mit fahrigen
Bewegungen und flackernden Blicken stammelte er nur unsinniges Zeug.
»Das war ein Zeichen â¦Â«, sagte er plötzlich. »Ein Zeichen Gottes â¦Â«
»Was war ein Zeichen?«, wollte Ermilina wissen. »Wovon redest du?«
»Die Sonnenfinsternis! Gott wollte mich warnen ⦠Aber zu spät ⦠Zu
spät! Zu spät! Zu spät!«
Er schlug die Hände vors Gesicht und fing wieder an zu beten.
Ermilina zog ihren Schal um die Schulter und blickte auf die Leiche ihres
Mannes. Bleich und wächsern starrte Alberico gegen die Decke, als könne er noch
im Tod durch die dünnen, blaurot geäderten Lider sehen. Das Blut war aus seinem
früher so roten Gesicht gewichen, und die Wangen seines groÃen, quadratischen
Schädels waren eingefallen. Wo war seine Kraft geblieben? Wo sein Wille? Wo
seine Befehlsgewalt? Alles, was ihn im Leben ausgemacht hatte, war in einem
einzigen Augenblick erloschen. Mit einem Seufzer strich Ermilina ihm über die
kahle Stirn und ordnete die Locken seines Haarkranzes. Hatte er seinen Frieden
mit Gott gefunden? Bei dem Gedanken an sein Seelenheil zog sich ihr Herz
zusammen. Alberico hatte zwar jeden Sonntag die Messe besucht und auch die
Fasten eingehalten. Aber würde das reichen, um dem Fegefeuer zu entrinnen? Um
ihn mit Gott zu versöhnen, hatte sie ihm die groÃen, schweren Hände, die einst
manches Genick gebrochen hatten, vor der Brust gefaltet, über dem Blutfleck auf
seiner Tunika.
Sie wollte gerade für ihn beten, da ging die Tür auf, und herein
trat Petrus da Silva.
»Entschuldigt, dass ich so spät komme«, sagte er, nachdem er vor dem
Toten niedergekniet war. »Aber ich war bis jetzt in der Basilika.«
»Habt Ihr den Mörder meines Mannes gefunden?«, fragte Ermilina.
Petrus schüttelte den Kopf. »Noch nicht, Herrin. Aber ich habe alles
in die Wege geleitet, um die Wahrheit herauszufinden. Eure Söhne Ottaviano und
Pietro befragen sämtliche Zeugen.« Er wandte sich an Gregorio, der mit dem
Rücken zu ihnen am Fenster stand. »Es wäre von Vorteil, wenn auch Ihr Euch an
der Untersuchung beteiligen würdet, Euer Gnaden. Als Kommandant des
Stadtregiments â¦Â«
»Seid Ihr verrückt geworden?« Gregorio fuhr herum. »Ich habe damit
nichts zu tun!« Er wandte sich vom Fenster ab und eilte zur Tür.
»Wohin willst du?«, rief Ermilina.
»Weg! Ich halte das nicht aus!«
Ohne eine Erklärung stürmte er aus dem Haus. Die Tür knallte zu,
dann war Ermilina mit dem Kanzler allein.
»Und Teofilo?«, fragte sie. »Habt Ihr wenigstens meinen Sohn
gefunden?«
Abermals schüttelte Petrus da Silva den Kopf. »Tut mir leid, Herrin.
Seine Heiligkeit ist spurlos verschwunden. Aber macht Euch keine Sorgen«, fügte
er rasch hinzu. »Ich bin sicher, Seiner Heiligkeit ist nichts geschehen.«
Ermilina spürte, wie die Angst ihr die Kehle zuschnürte, und Tränen
erstickten ihre Stimme.
»Wo um Himmels willen kann er nur sein?«
3
In gestrecktem Galopp jagte Teofilo durch den Wald. Der Wind
trieb ihm Tränen in die Augen und nahm ihm die Sicht, während ihm immer wieder
Zweige ins Gesicht peitschten. Doch er war taub für den Schmerz und ritt
weiter, immer weiter, die Via Appia entlang in Richtung Süden. Den Kopf an den
Hals seines Pferdes geduckt, hatte er nur einen Gedanken: Fort! So weit wie
möglich fort von Rom!
Meile um Meile galoppierte er die stetig steigende StraÃe hinauf,
immer tiefer hinein in die Berge, vorbei an Dutzenden von Dörfern und Weilern.
Erst als Ariccia hinter ihm lag, ein Marktflecken hoch über dem Tal, parierte
er durch. Der Wallach pumpte in den Flanken, in weiÃen Flocken stob ihm der
Schaum vom Maul, und glänzender Schweià bedeckte sein Fell, als wäre er aus dem
Wasser gezogen. Während das Pferd nervös auf der Stelle tänzelte, fasste
Teofilo sich an die Kehle. Noch immer spürte er die Stricke und Gürtel, mit
denen man versucht hatte, ihn zu erdrosseln.
Erschöpft schloss er die Augen. Sofort war alles wieder da. Das Getümmel
in der Kirche ⦠Die hasserfüllten Gesichter ⦠Die wütenden Rufe und Schreie: Nieder mit dem Papst! Nieder mit dem Zauberer!
Weitere Kostenlose Bücher