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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Blutkrusten sah sie sein Gesicht, sah sie die grünen Augen, die sich kaum
trauten, sie anzuschauen, sah sie Teofilo, den Menschen, den sie so lange
vermisst hatte, mit einer Sehnsucht, die sie sich selber nie gewagt hatte
einzugestehen.
    Â»Ich bin so froh, dass du lebst. Ich hatte solche Angst um dich …«
    Â»Du … du hattest Angst – um mich?«
    Als brauche er eine Bestätigung für ihre Worte, nahm er ihre Hand.
Chiara fühlte seine Haut, die Wärme, die darunter pulsierte, den zarten Druck
seiner Finger. Die eine Berührung reichte, dass sie kaum noch atmen konnte.
Nichts war mehr wie zuvor. Alles, was ihr Leben gewesen war, war auf einmal
eine Lüge, ohne jede Gültigkeit. Es gab nur sie beide auf der Welt, und sie
hatte nur einen einzigen Wunsch: dass er sie wieder so streicheln würde wie
damals.
    Zärtlich flüsterte sie seinen Namen.
    Â»Teofilo …«
    Â»Chiara …«
    Er streifte mit seinem Mund ihre Wange. Sie spürte seinen Atem auf
ihrer Haut, wie eine zärtliche Liebkosung streichelte er sie. Und obwohl sie
wusste, was jetzt geschehen würde, obwohl sie wusste, dass es nicht geschehen
durfte, schloss sie die Augen, um zuzulassen, was geschehen musste.
    10
    Â»Wir dürfen jetzt keinen Fehler machen«, sagte Petrus da Silva,
»wir müssen alles tun, damit Eure Tat nicht ruchbar wird!«
    Â»Meine Tat? Welche Tat?«, fragte Gregorio.
    Â»Wollt Ihr wirklich, dass ich sie beim Namen nenne?«
    Unwillkürlich fuhr Gregorio mit der Hand zum Mund, doch er
beherrschte sich. Während er beide Arme unter die Achseln klemmte, um nicht an
den Nägeln zu kauen, beobachtete er aus den Augenwinkeln den Kanzler, der am
Kamin saß und einen Schluck Wein trank. Petrus da Silva hatte nach der
Beerdigung gewartet, bis die Trauergesellschaft sich aufgelöst und auch die
Burgherrin sich zur Nacht zurückgezogen hatte und er als Einziger in der Halle
übrig geblieben war. Jetzt wusste Gregorio, warum. Während er versuchte, sich
seine Bestürzung nicht anmerken zu lassen, gingen ihm tausend Fragen
gleichzeitig durch den Kopf. Was wusste der Kanzler? Hatte ihn jemand verraten?
Oder hatte Petrus da Silva mit eigenen Augen gesehen, was in der Basilika
geschehen war?
    In der verzweifelten Hoffnung, dass alles nur ein Missverständnis
war, machte Gregorio einen letzten Versuch: »Ich weiß wirklich nicht, wovon Ihr
sprecht, Eminenz.«
    Petrus da Silva hob nur eine Augenbraue. »Gebt Euch keine Mühe«,
sagte er. »Es gibt einen Zeugen – Domenico. Ein Wort von mir, und er wird vor
Gericht aussagen. Und dann …«
    Schlimmer als jede Drohung schwebten die unausgesprochenen Worte im
Raum. Unfähig, den kalten Blick des Kanzlers länger zu ertragen, griff Gregorio
in einen Korb mit Haselnüssen, den der ausgestopfte Bär zwischen seinen Tatzen
hielt, und knackte mit den Zähnen eine Nuss. Die verfluchte Sonnenfinsternis!
Einen Moment früher, und er wäre gewarnt gewesen … Während er die Nussschalen
in den Kamin spuckte, erschien ihm plötzlich im Gesicht des Bären das Gesicht
seines Vaters.
    Was bist du doch für ein Hosenscheißer! Und so
was will erster Konsul von Rom werden …
    Im selben Moment war es um seine Beherrschung geschehen.
    Â»Ich … ich wollte es nicht tun«, stammelte er. »Ich wollte nur
meinen Bruder beschützen. Das müsst Ihr mir glauben! Doch dann hatte ich
plötzlich das Messer in der Hand … Ich weiß nicht, wie es geschah … Es ist
einfach über mich gekommen, ganz von allein … Endlich konnte ich mich rächen …
Für all die Demütigungen, ein Leben lang …«
    Mitten im Satz wurde ihm bewusst, was er redete, und er biss sich
auf die Zunge. War er verrückt geworden, ein solches Geständnis abzulegen?
    Petrus da Silva schaute ihn voller Verachtung an. »Ihr seid ein
Schwein, Euer Gnaden, und außerdem ein Idiot. Aber macht Euch keine Sorgen, die
heilige Kirche braucht Euch.«
    Â»Was zum Teufel fällt Euch ein?«, zischte Gregorio. »Ihr sprecht mit
dem Grafen von Tuskulum!«
    Â»Ich weiß«, erwiderte der Kanzler. »Vor allem aber seid Ihr der
Bruder des Papstes. Und deshalb bin ich Euer Freund und werde Euch helfen.«
    Â»Indem Ihr mich beleidigt?«
    Petrus da Silva schüttelte den Kopf. »Indem ich Euch vor Euren
eigenen Taten schütze«, sagte er.

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