Der Kinderpapst
Chiara. »Nein, ich will diesen Menschen nicht wieder
sehen. Niemals! Ich könnte in seiner Gegenwart nicht mal atmen. Er ist ⦠er ist â¦Â« Sie hatte keine Worte dafür, was Teofilo war. »Das einzige, was ich tun
kann, ist, das Elend, das er und seine Brüder anrichten, ein bisschen zu
lindern.«
»Aber es ist unmöglich, so viele Leute zu füttern! Dafür brauchen
wir Geld! Viel mehr, als wir haben!«
»Das weià ich auch. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Ach,
manchmal wünschte ich, es würde die Wassergeister wirklich geben, und man
bräuchte nur ein bisschen Brot in den See zu werfen, und schon würde alles in
Erfüllung gehen, was man sich erhofft.«
»Hoffen und Wünschen helfen uns nicht weiter.« Anna kratzte mit
ihrer Kelle die letzten Reste Brei aus dem Kessel. »Wenn wir kein Geld haben,
müssen wir welches verdienen.«
»Geld verdienen? Wie soll das gehen?«
»So kann nur jemand reden, der nie für sein Brot gearbeitet hat«,
sagte Anna. Während sich ihr drei Dutzend Holzteller gleichzeitig
entgegenstreckten und sie darauf möglichst gerecht den übrigen Brei verteilte,
dachte sie laut nach. »Was wir bräuchten, wäre irgendein Geschäft ⦠Um Handel
zu treiben. Damit aus Geld mehr Geld wird. Und wir mit dem Gewinn noch mehr
Leute versorgen können â¦Â«
Verwundert schaute Chiara sie an. Anna hatte manchmal wirklich
seltsame Einfälle. Geschäfte machen? Um Geld zu verdienen? Sie war die Frau
eines Edelmanns, nicht die eines Krämers! Doch andererseits ⦠Vielleicht wäre
das tatsächlich eine Möglichkeit. Am Ende des Monats würden die Bauern aus der
Grafschaft ihres Mannes den Zehnten abliefern, und wenn sie Domenico darum
bitten würde â vielleicht wäre er ja bereit, ihr ein kleines Kapital zur
Verfügung zu stellen.
»Hast du eine Idee, womit wir handeln könnten?«, fragte sie.
Anna zuckte die Schulter. »Vielleicht mit Schaffellen? Wenn wir in
der ganzen Grafschaft Felle aufkaufen und einfärben lassen und dann in die
Stadt bringen und sie hier auf dem Markt â¦Â«
Chiara schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass wir damit reich
werden. Wolle gibtâs mehr als genug, und auf dem Markt von Albano türmen sich
die Felle. Wir müssten etwas Besonderes haben, etwas, das es nicht überall zu
kaufen gibt.« Sie dachte nach. »Wie wärâs mit Gewürzen? Pfeffer oder Ingwer
oder Safran? Mein Vater kennt einen Mann, der hat ein einziges Schiff
ausgerüstet und damit ein solches Vermögen verdient, dass er sich ein neues
Kastell bauen konnte. Von nur einer Ladung Pfeffer.«
»Aber was, wenn das Schiff in einen Sturm gerät und untergeht?«,
entgegnete Anna. »Dann hast du alles auf einen Schlag verloren. Und selbst,
wenn die Sache gut geht und das Schiff heil zurückkehrt â so eine Reise kann
Jahre dauern, und vielleicht ist das Geld am Ende viel weniger wert als
vorher.«
»Wie kann Geld weniger wert werden?«, fragte Chiara. »Ein Soldo ist
ein Soldo, und sein Wert ist immer derselbe.«
»Hast du nicht gehört, was die Leute reden? Keiner will die neuen
Soldi haben. Manche Krämer weigern sich sogar, sie anzunehmen.« Anna beugte
sich zu ihr, um ihr den Rest ins Ohr zu flüstern. »Du weisst doch, Antonio
arbeitet in der Münze, und er hat mir von Dingen erzählt, wenn die wahr sind,
dann â¦Â«
Bevor sie ausholen konnte, wurden drauÃen Gesänge laut, in einer
Sprache, die Chiara noch nie gehört hatte, mit kehligen, dumpfen Lauten, die
irgendwie bedrohlich klangen und gleichzeitig so schön, dass sie eine Gänsehaut
bekam. Sie eilte an die Tür und schaute hinaus. Hinter einem hünenhaften
Priester, der ein mannsgroÃes Kreuz mit dem blutenden Heiland vor seiner Brust
gestemmt hielt, trottete eine Prozession die Gasse hinauf â lauter groÃe,
breitschultrige Männer mit weizenblonden Haaren und rötlichen Bärten.
»Was für seltsame Leute«, sagte Chiara. »Sind das Franken?«
»Ich glaube ja«, bestätigte Anna. »Oder Sachsen. Die ganze Stadt
wimmelt von ihnen, Pilger zum Jubiläum des Papstes. Ihr neuer König, Heinrich,
soll ein sehr frommer Mann sein.«
»Der Sohn von Kaiser Konrad? Ist der auch in der Stadt?«
»Nein. Aber seit Heinrich regiert, kommen seine Landsleute in
Scharen nach
Weitere Kostenlose Bücher