Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
– das ganze Dorf zerriss sich
darüber das Maul.
    Â»Der alte Heuchler …«
    Chiara versuchte zu lächeln, doch als sie Annas Blick sah, wurde sie
rot. War sie nicht genauso verlogen wie Don Abbondio? Nicht mal ihrer Zofe und
Freundin, die seit so vielen Jahren über sie wachte und alles von ihr wusste,
hatte sie sich anvertraut … Dass sie gewillt war, ihr Eheversprechen zu brechen … Um Domenico zu verlassen und mit dem Mann zu leben, den sie wirklich liebte …
    Â»Ja, die Schlange lauert sogar im Schoß der heiligen Kirche«,
wetterte Don Abbondio weiter. »Unwürdige Diener Gottes haben den Kaiser
aufgefordert, sie vom Gelübde der Keuschheit zu befreien, um ohne Scham und
Schande ihre Buhlen zu begatten. Aber der Herr hat die Schlange zertreten. Er
hat den Frevlern eine Seuche geschickt und den Kaiser in die Flucht gejagt.«
    Anna fasste nach Chiaras Arm. »Hast du das gehört?«
    Â»Wie bitte? Was meinst du?«
    Â»Der Kaiser hat Italien verlassen! Es gibt keine Synode …«
    Chiara erwachte aus ihren Gedanken. »Was weißt du von der Synode?«
    Â»Glaubst du, ich wüsste nicht Bescheid?« Anna schüttelte den Kopf.
»Du hast noch nie etwas vor mir geheim halten können. Schon als Kind nicht. Vor
allem nicht, wenn du glücklich oder unglücklich bist.« Sie drückte ihren Arm.
»Es tut mir so leid für dich.«
    Chiara brauchte eine Weile, um zu begreifen, was die Nachricht, die
der Pfarrer verkündet hatte, bedeutete. Teofilos Plan war gescheitert, und er
und sie, sie würden niemals … Tränen quollen aus ihren Augen, und während sie
an ihren Wangen herunterrannen, übermannte sie die Verzweiflung.
    Â»Ja, das ist sein Wille und Gesetz!«, rief Don Abbondio. »Nur einem
Herrn sollen seine Jünger dienen, dem allmächtigen Gott, Schöpfer des Himmels
und der Erde, wie einst die Apostel Jesu Christi, die ihre Familien aufgaben,
um dem Gottessohn zu folgen …«
    Unwillkürlich hob Chiara den Blick. Durch den Schleier ihrer Tränen
sah sie den Priester. Er schaute ihr direkt ins Gesicht, als sollten die Worte,
die er von der Kanzel schleuderte, nur ihr allein gelten … So musste Eva sich
gefühlt haben, als sie im Paradies von der verbotenen Frucht gekostet hatte und
Gott nach ihr rief … Plötzlich fühlte sie sich nackt und bloß, und während der
Pfarrer weitere Worte in ihre Richtung schleuderte, hatte sie nur noch das
Bedürfnis, unsichtbar zu sein.
    Â»Wehe den Sündern und ihren Buhlen, die dem Laster frönen! Im Feuer
werden sie büßen, von Ewigkeit zu Ewigkeit!«
    Auf dem Absatz machte Chiara kehrt.
    Â»Wo willst du hin?«, fragte Anna.
    Â»Ich halte es nicht länger aus!«
    Chiara zwängte sich durch die Reihen, und ohne auf die verwunderten
Blicke der Bauern und Tagelöhner zu achten, die mit ihren Familien die kleine
Kirche füllten, stolperte sie hinaus.
    19
    Vom Glockenturm läutete es zum Angelus. Chiara verließ wie
jeden Abend ihre Zelle, um zusammen mit den Nonnen und Mönchen von
Grottaferrata das Gebet zu verrichten, mit dem die Ordensgemeinschaft den Tag
beschloss. Doch für sie bedeutete der Angelus mehr als ein Gebet. Nur wenn sie
betete, durfte sie sprechen, nur im Gebet ihre Seele von den quälenden Nöten
und Ängsten entlasten, die sie bei Tag und Nacht bedrückten, ansonsten war ihr
Mund versiegelt. Denn auf Abt Bartolomeos Geheiß hatte sie ein Gelübde
abgelegt: Sie wollte so lange auf alles weltliche Reden verzichten, bis ihre
Seele geheilt war von den Einflüsterungen des Verlangens, die ihr Herz
vergiftet hatten, und sie wieder frei war für ein Leben nach Gottes Willen und
Gesetz.
    War Domenico überhaupt bereit, sie wieder aufzunehmen? Oder würde er
sie verstoßen, nach allem, was geschehen war?
    Zwei Wochen hatte sie ihren Mann nicht gesehen. Durch Anna hatte sie
ihm ausrichten lassen, dass sie im Kloster Gott um ein Kind bitten wolle. Das
war die Wahrheit und doch eine Lüge. Denn vor allem wollte sie einer Welt
entkommen, in der jede Hoffnung scheinbar immer tiefer ins Verderben führte.
    War das der Plan der Schöpfung? Dass alles Glück sich nur um den
Preis eines viel größeren Unglücks erwerben ließ?
    Aus Angst vor Teofilo, aus Angst vor ihren eigenen Gefühlen, war sie
nach Grottaferrata geflohen, gleich nach der Messe und Don Abbondios

Weitere Kostenlose Bücher