Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
Vom Netzwerk:
Polizeidienst und hatte von seiner Arbeit, seinem Beruf und zurzeit vom Leben ü berhaupt die Nase gestrichen voll. Seine Frau Heidi war vor drei Monaten mit einem Koffer, ihrem Beauty-Case und dem Dackel Fritzi zu ihrer Freundin gezogen. In unregelm äß igen Abst ä nden meldete sie sich mit einem obligatorischen » Wie geht's? « und machte nicht die geringsten Anstalten, zur ü ckkehren zu wollen. Mittlerweile war es Karsten egal, aber seine Stimmung blieb gedr ü ckt.
    Es war alles so sinnlos. Den ganzen Tag ü ber hatten Taucher im Kanal nach einem kleinen Jungen gesucht, der gestern nicht in der Schule gewesen war und seitdem vermisst wurde. Der eigene Vater hatte in der Nacht die Schultasche am Ufer gefunden. Ein Zufall, der Karsten ü berhaupt nicht schmeckte. Er hatte ausf ü hrlich mit den Eltern gesprochen und war dabei kein St ü ck weitergekommen. Der Vater war misstrauisch und verschlossen, offensichtlich hielt er nicht viel von der Arbeit der Kripo. Er hatte sich krank schreiben lassen, sa ß zu Hause und trank sich durch den Tag. Mittags war er bereits zu keinem vern ü nftigen Gespr ä ch mehr in der Lage gewesen. » Ich wei ß wahrscheinlich weniger als ihr « , hatte er mehrmals wiederholt. » Ich wei ß nichts, absolut gar nichts. Ich wei ß nur, dass Benny nicht abhauen w ü rde. Ihr vergeudet nur Zeit, wenn ihr mir L ö cher in den Bauch fragt. «
    Marianne Wagner lag seit dem Morgen in der Charite. Sie hatte einen neuen MS-Schub und einen Nervenzusammenbruch erlitten, wurde ruhig gestellt und war noch weniger in der Lage, der Polizei Informationen zu geben.
    Hauptkommissar Schwiers hatte heute p ü nktlich Feierabend gemacht, denn solange sie Benjamin nicht fanden, konnte er nicht viel tun. Er wollte nur noch schlafen. Schon das Halten eines Kugelschreibers empfand er als gro ß e Anstrengung.
    Er ging langsam nach Hause. Der Schnee, der vor zwei Tagen gefallen war, war l ä ngst wieder weggetaut, es war noch k ä lter geworden, aber es regnete oder schneite wenigstens nicht. Er achtete darauf, tief durchzuatmen, aber den Mund geschlossen zu halten. Hoffentlich werde ich nicht krank, dachte er. Eine Grippe auskurieren zu m ü ssen, wenn niemand da ist, der einen pflegt, war f ü r ihn eine gr ä ssliche Vorstellung. Fr ü her hatte Heidi ihm Br ü he und Tee gekocht, wenn er mit Fieber im Bett lag, hatte ihm frische Schlafanz ü ge rausgesucht und das Bett neu bezogen, wenn es durchgeschwitzt war. Sie hatte das Schlafzimmer gel ü ftet, wenn er im Bad war, und ihm Zeitungen und Illustrierte zum Lesen besorgt. Sie war wie ein guter Geist gewesen, der das Kranksein beinah angenehm machte. Wenn sie aus dem Zimmer ging, hatte sie immer l ä chelnd gesagt: » Ruf mich, wenn du was brauchst. « Das war ein so wundervoller Satz, den er gern mal wieder h ö ren w ü rde, aber er glaubte nicht mehr daran. Er musste sich einfach an den Gedanken gew ö hnen, dass Heidi ihn verlassen hatte.
    Heute fiel ihm zum ersten Mal auf, dass in der Stra ß e, durch die er gerade ging, nicht ein einziger Baum stand. Ich werde umziehen, dachte er, wenn Heidi wirklich nicht wiederkommt, ziehe ich um. Irgendwohin, meinetwegen auch in eine kleinere Wohnung, Hauptsache, es ist ein Baum vor dem Fenster.
    Er kam am » Fu ß balltreff « vorbei und ü berlegte, ob er noch einmal mit dem Wirt sprechen sollte, aber dann lie ß er es und ging einfach weiter. Der Wirt hatte Peter Wagners Aussage, dass er bis kurz vor zw ö lf in der Kneipe gewesen war, best ä tigt.
    Eine ü ble Geschichte, fand Karsten, und eine v ö llig unglaubw ü rdige. Oder besser: eine unvorstellbare. Da landet ein Vater, der angeblich seinen Sohn suchen wollte, in einer Kneipe und versackt dort fast drei Stunden. Dann erst f ä llt ihm ein, was er eigentlich vorhatte. Er geht bei absoluter Dunkelheit am Kanal entlang, kraucht dort durchs Gestr ü pp und findet die Schultasche seines vermissten Kindes?
    Seine Polizeierfahrung und sein Instinkt als Kriminalhauptkommissar sagten ihm, dass dieser Vater auf alle F ä lle etwas mit dem Verschwinden und dem Tod seines Sohnes zu tun haben musste. Denn dass Benny nicht mehr lebte, davon war Karsten ü berzeugt. Das hatte er im Gef ü hl.
    Im Zeitschriftenladen in unmittelbarer N ä he seines Hauses kaufte er die Berliner Morgenpost, den Stern und einen Doppelriegel Mars. Er sehnte sich nach einem hei ß en Bad, dem s üß en Karamell-Schokoladenriegel und dann nur noch nach seinem Bett. Wenn er zw ö lf Stunden

Weitere Kostenlose Bücher