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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Benjamin zum letzten Mal gesehen? « , fragte der Mann.
    » Am Montag. Da kam er nach der Schule und hat sich ne Bulette jekooft. Die hat er furchtbar jerne jejessen. Aber irgendwat hatte er uff der Seele. Sah janz bedeppert aus. Wat is'n los? Haste wat ausjefressen, hab ick ihn jefragt, aber er hat nischt jesagt. Keenen Ton. Und dann isser regelrecht nach Hause jeschlichen. «
    Die Frau zog ein kleines Notizbuch aus ihrer Tasche und schrieb sich etwas auf. Und in diesem Moment, als sie nach unten sah und ihr dabei eine Haarstr ä hne ins Gesicht fiel, da wusste Alfred pl ö tzlich, wer sie war.
    Er musste sehen, dass er wegkam, bevor sie ihn auch noch erkannte, aber gerade jetzt schob Milli ihm seine Wurst ü ber den Tresen.
    » Lass dir's schmecken, Alfred « , sagte sie und nannte ü berfl ü ssigerweise auch noch seinen Namen.
    Alfred sp ü rte, wie ihm der Schwei ß ausbrach. Er ü berlegte fieberhaft, was das zu bedeuten hatte. Alles hatte irgendetwas zu bedeuten, es gab keine Zuf ä lle auf der Welt. Aber die Frau sah ihn nicht an, noch war es m ö glich, unerkannt zu verschwinden.
    Am liebsten h ä tte er die Wurst einfach stehen lassen und sich aus dem Staub gemacht, aber das w ä re zu auff ä llig gewesen.
    Also a ß und trank Alfred in Rekordzeit, w ä hrend Milli auf den Menschen schimpfte, der einem kleinen Lungen so etwas antun konnte. Sie schw ä rmte vom Mittelalter, als M ö rder gesteinigt, gevierteilt, aufs Rad gespannt oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden, sie konnte sich allerdings auch vorstellen, Benjamins M ö rder in ein eiskaltes, feuchtes und vollkommen dunkles Verlies zu sperren und langsam verhungern zu lassen.
    » Wenn wir wenigstens die Todesstrafe h ä tten « , res ü mierte sie, » dann w ü rde sowat nich passieren. Hab ick Recht, Alfred? «
    » Vollkommen « , meinte Alfred und schob ihr das Geld ü ber den Tresen. » Mach's gut, Milli, ich hab's eilig. «
    Er l ä chelte kurz, schlug den Kragen seines Mantels hoch und ging mit langen schnellen Schritten davon.
    » Wer war denn das? « , fragte Mareike, denn auch ihr war Alfreds Gesicht irgendwie bekannt vorgekommen.
    » Alfred Fischer « , sagte Milli. » Netter Mann. Zuvorkommend und anst ä ndig. Und regelrecht intelligent. «
    Mareike nickte und verwarf ihren Gedanken wieder, den sie einen Augenblick lang gehabt hatte. Denn das Gesicht des Mannes hatte sie an einen Jungen erinnert, der Alfred Heinrich gehei ß en hatte. Auf keinen Fall Alfred Fischer. Da war sie sich ganz sicher, und sie verga ß ihre kurze Erinnerung sofort wieder.
    Alfred ging schnurstracks nach Hause, um zu packen. Mareike Koswig. Jetzt fiel ihm der Name wieder ein. Mareike war schuld. An vielem, was ihm passiert war, war letztendlich sie schuld. Und das Risiko, ihr noch einmal zu begegnen, war zu gro ß . Daher war es besser, die Stadt zu verlassen.
    18
    Bovenden, Juni 1970
    Sogar jetzt, nach zweiundzwanzig Uhr, war die Abendluft noch so lau, dass Martina Bergmann in ihrem nagelneuen gr ü nen K ä fer bei offenem Fenster fuhr. Sie war vollkommen gl ü cklich. Heute war ihr einundzwanzigster Geburtstag, und sie hatte ihn mit ihren Eltern, ihrem Bruder Paul, ihrer Tante Tilli und ihren Gro ß eltern gefeiert.
    Den ganzen Nachmittag hatten sie auf der Terrasse gesessen und den Sommertag genossen. Ein absoluter Gl ü cksfall. Martina konnte sich an viele verregnete Geburtstage in ihrer Kindheit erinnern.
    Vor einem halben Jahr war sie zu Hause ausgezogen, hatte einen Job als Kinderkrankenschwester im G ö ttinger Klinikum bekommen und verdiente ihr erstes eigenes Geld. Den K ä fer hatten ihr ihre Eltern zum Geburtstag geschenkt, und nun brannte sie darauf, ihre Tante Tilli, die in Northeim wohnte, nach Hause zu fahren und das neue Auto auszuprobieren.
    Inzwischen war sie seit wenigen Minuten auf der A7 unterwegs und entspannte sich immer mehr, denn das Auto fuhr ruhig und leicht, und sie f ü hlte sich sicher und wunderbar frei.
    » Du kannst bei mir ü bernachten, wenn du willst « , sagte Tilli. » Dann musst du nicht auch noch zur ü ck nach G ö ttingen. «
    » Danke, T ü li, lieb von dir « , meinte Martina, » aber ich genie ß e es ja, dass ich einen Grund habe zu fahren. Es ist so wunderbar. Von so einem Auto hab ich immer getr ä umt. Es f ä hrt einfach toll, und jetzt habe ich auch mit dem Einkaufen ü berhaupt keine Probleme mehr. Ich h ä tte nie gedacht, dass mir meine Eltern so ein Wahnsinnsgeschenk machen! «
    » Warum nicht? «

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