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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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war, was in dieser Wohnung vorgefallen war. Mit Daniel Doll, der seit einigen Stunden tot war, hatte es jedenfalls nichts zu tun.
    Er stand auf und durchsuchte seine Hosentaschen nach dem Souvenir, als Grete plötzlich in der Tür stand. Er hatte sie gar nicht hereinkommen hören und zuckte zusammen.
    »Ich habe deine Sachen bereits gepackt«, sagte sie statt einer Begrüßung. »Drei Koffer. Sie stehen im Schlafzimmer. Du kannst abhauen. Am besten noch heute Nacht. Das erspart dir die Abschiedszeremonie mit den Kindern, und du musst dich nicht so schrecklich verstellen. Du kannst sie ja sowieso nicht leiden.«
    Alfred hatte das Souvenir in seinen Taschen noch nicht erspürt. Das war es, was ihn im Moment am meisten nervös machte. Sein Herz klopfte wie wild, und er musste sich setzen. »Entschuldige, ich war gerade in Gedanken«, meinte er fahrig, »was hast du gesagt?«
    Grete schnaufte, um nicht laut loszubrüllen und die Kinder doch noch zu wecken. Das war stark. »Hau ab!«, zischte sie. »Jetzt sofort. Verschwinde aus meinem Leben und lass dich hier nie wieder blicken!«
    Grete ahnte ja nicht, wie gut ihm dieser Rausschmiss gerade jetzt in den Kram passte. Er musste verschwinden. Möglichst sofort. Und er hatte sich auf der Heimfahrt schon den Kopf zerbrochen, wie er es Grete erklären sollte. Welchen Grund er ihr nennen könnte, warum er sie Hals über Kopf verließ und sie mit beiden Kindern allein lassen würde. Und jetzt schmiss sie ihn raus. Das war einfach fabelhaft.
    »Warum? Was ist passiert?«, fragte er und versuchte, seine Stimme nicht allzu gelangweilt klingen zu lassen.
    »Dein Freund Herbert war hier. Während er auf dich gewartet hat, hat er mir so einiges aus deinem Leben erzählt.«
    Herbert. Du liebe Güte! Alfred war davon ausgegangen, dass er sich längst zu Tode gespritzt hatte. Gab es ihn also doch noch. Aber woher hatte er seine verdammte Adresse? Wahrscheinlich von seiner Mutter. Das war die einzige Möglichkeit. Er hatte ihm die Adresse seiner Mutter gegeben. Für alle Fälle. Er hatte ja nicht ahnen können, dass sich das einmal als Fehler erweisen würde. Es war wirklich höchste Zeit zu verschwinden. Auch seine Mutter durfte nicht mehr wissen, wo er wohnte. »Interessant. Und? Was hast du erfahren?«
    »Dass du ein gottverdammter Lügner und ein richtiger Scheißkerl bist.«
    Alfred lächelte nur und trieb Grete dadurch erst recht auf die Palme.
    »Du hast kein Abitur. Du hast auch nie Wirtschaftswissenschaften studiert.«
    Alfred zuckte die Achseln.
    »Du hast keinen Vater, der in Amerika lebt. Dein Vater ist tot.« »Und wenn schon. Ist das so wichtig?« Er konnte gar nicht verstehen, dass Grete sich über solche Nichtigkeiten derart aufregte. »Du warst im Knast, weil du eine Frau umgebracht hast.
    Stimmt's?«
    Alfred schwieg. Gretes keifender Ton ging ihm erheblich auf die Nerven.
    »Jetzt begreife ich, warum du nicht mit mir schläfst. Herbert war im Knast dein Liebhaber. Du bist schwul, du warst immer schwul, und ich hasse dich.«
    Daher wehte der Wind. Das mit dem Knast hätte sie vielleicht noch geschluckt, aber einen Mann geheiratet zu haben, der sie nicht begehrte, niemals begehrt hatte, das war zu viel. Er konnte es sogar verstehen, und wie sie da in der Küche stand, in ihrem dünnen, verwaschenen Nachthemd, tat sie ihm direkt Leid.
    »Wo warst du die ganze Zeit?«
    »Ich bin ein bisschen herumgefahren. Wollte allein sein.«
    »Zwei Tage und beinah zwei Nächte?« Ihr Ton war scharf und eiskalt.
    Alfred stand auf. Er wollte dieses Gespräch unbedingt beenden. Je eher er hier wegkam, desto besser.
    »Ich glaube dir kein Wort. Ich glaub dir überhaupt nie mehr irgendwas.« Grete war jetzt kurz davor, in Tränen auszubrechen.
    »Das brauchst du auch nicht. Grete, ich würde sagen, wir lassen das jetzt. Es bringt nichts. Wir streiten uns sonst nur. Und es ist wohl besser, wenn ich jetzt gehe. Den Wagen nehme ich mit. Okay?«
    Jetzt weinte sie wirklich. Saß am Tisch, hatte den Kopf auf ihren Unterarm gelegt und schluchzte. Einen Moment überlegte Alfred, ob er sie in den Arm nehmen und trösten sollte, aber dann ließ er es bleiben und verließ die Küche.
    Im Flur blieb er noch einmal stehen und durchsuchte vorsichtig und gründlich seine Hosentasche. Da war es! Gott sei Dank! Er hatte das Souvenir nicht verloren.
    Er musste zweimal gehen, um die Koffer nach unten zu schaffen. Als er zum letzten Mal nach oben kam, stand Grete im Flur. Sie hatte über ihr Nachthemd eine dicke

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