Der Kindersammler
Strickjacke gezogen und hielt sie vor der Brust derart fest zu, als stünde sie im eiskalten Wind und nicht in einer geheizten Wohnung.
Alfred spielte mit dem Schlüsselbund und starrte auf die Auslegware. Zum ersten Mal bemerkte er, dass der graue Teppich auch klein e blaue Punkte hatte.
»Mach's gut«, sagte er. »Ich melde mich ab und zu. Es tut mir Leid, Grete. Ich wollte dir nicht wehtun.«
Dann drehte er sich um und ging. Zog die Wohnungstür absolut lautlos ins Schloss, als hätte er diesen Abgang schon tausendmal geübt.
Der Regen hatte aufgehört. Es war jetzt vollkommen still im Hahnenmoor. Alfred spürte eine tiefe Zufriedenheit, die seinen Körper wohlig entspannte. Und unwillkürlich musste er lächeln.
Alfred wachte auf, weil er am ganzen Körper zitterte, im Innern des Bauwagens war es feucht und kalt. Er lag in seinem Mantel auf der Pritsche und versuchte, sich daran zu erinnern, wann und wie er eingeschlafen war. Mühsam setzte er sich auf. Es war stockdunkel, und erst allmählich kehrte seine Orientierung zurück. Links neben ihm war die Wand, rechts neben der Liege stand die Plastiktasche. Die half ihm jetzt nicht viel, er brauchte die Umhängetasche, in der die Taschenlampe sein musste. Er ging auf die Knie und begann, systematisch den Boden abzutasten.
Angewidert fasste er in zentimeterhohe Staubflocken, die mit Haaren, Krümeln und Spinnweben unappetitliche Haufen gebildet hatten, ritzte sich den Handballen an einem rostigen Nagel auf und erschrak im ersten Moment, weil er spürte, dass Blut auf den Boden tropfte. Seine Hand brannte, und beim Weitertasten schmierte er sein Blut in Sand und Staub. Aber das beunruhigte ihn nicht. Nach drei Jahren würde niemand mehr den Bauwagen durchsuchen und das Blut auf dem Fußboden sicher nicht mehr mit dem Mord an Daniel und dem Täter in Verbindung bringen.
Nachdem er den dreckigen Fußboden abgetastet hatte, fand er die Tasche schließlich auf einem Stuhl. Die Taschenlampe lag fast direkt obenauf. Als Erstes sah er auf die Uhr. Halb sechs. Noch dreieinhalb Stunden, bis es draußen hell wurde.
Als er die Kerzen gefunden, eine angezündet und auf dem Tisch festgetropft hatte, schaltete er die Taschenlampe wieder aus, um Batterien zu sparen. Er musste den kleinen Kanonenofen in Gang bringen, sonst konnte er es hier nicht mehrere Tage aushalten. Mit einer derartigen Kälte und Feuchtigkeit hatte er nicht gerechnet, das heißt, er hatte einfach nicht daran gedacht. Die Tage mit Daniel Doll waren wunderbar warm gewesen.
Allerdings würde der Rauch des Kanonenofens verraten, dass der Bauwagen bewohnt war. Und das musste er vermeiden.
Alfred beschloss, unmittelbar nach dem Hellwerden in den nächsten Ort zu wandern, um ein paar Lebensmittel einzukaufen. Erst am kommenden Abend würde er es wagen können, den Ofen einzuheizen. In Novembernächten schlich normalerweise niemand durchs Hahnenmoor, das Risiko war also relativ gering.
jedoch würde er innerhalb der nächsten zwölf Stunden im Bauwagen keine Chance haben, sich aufzuwärmen.
Er legte sich wieder hin. Massierte seine steifen, klammen Finger und versuchte, sein Zittern und das Klappern der Zähne unter Kontrolle zu bringen, aber es gelang ihm nicht. Eine halbe Stunde später stand er auf und verließ den Bauwagen. Hoffte, dass ein morgendlicher Marsch durch das dunkle Hahnen moor wenigstens seinen Kreislauf in Schwung und ein bisschen Wärme in seine Füße transportieren würde.
Um neun Uhr öffnete ein kleines Edeka-Geschäft in Hahnenhorn, um halb zehn ging er hinein. Er wollte nicht als einer der ersten Kunden sonderlich auffallen. Dennoch hielt er sich in dem Laden länger auf als nötig und spürte, wie sich allmählich ein Hauch von Wärme in seinem Körper ausbreitete. Mit mehreren Müsliriegeln, Eiern, einer Packung Schnittbrot, Teebeuteln, einer Flasche Rum, zwei Packungen Spaghetti, doppelt konzentriertem Toma tenmark, einer Knolle Knoblauch und drei Literflaschen Mineralwasser verließ er das Geschäft nach einer guten Stunde wieder.
Vor einem Zigarettenladen sprang ihm auf einer Tafel die Schlagzeile »Berlin jagt einen Mörder« in die Augen. Amüsiert ging er hinein und kaufte die Zeitung. Er freute sich auf die Lektüre bei einem einfachen, aber guten Essen.
Gegen zwölf war er zurück im Bauwagen. Erleichtert stellte er fest, dass ihn offensichtlich niemand entdeckt hatte, seine Sachen waren noch komplett vorhanden und lagen genauso auf Bett und Tisch, wie er sie
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