Der Kindersammler
meinen Job verloren«, murmelte er.
Grete hatte es entweder nicht verstanden, oder sie reagierte nicht darauf
»Hör zu«, sagte sie. »Es trifft sich gut, dass du anrufst. Ich war schon fix und fertig, weil ich nicht wusste, wo ich deine Telefonnummer oder deine Adresse herkriegen soll, ich weiß ja noch nicht mal, wo deine Mutter wohnt ...«, sie schnappte nach Luft, und Alfred spürte, dass sie gerade tausend Angste ausstand, dass er auflegen könnte.
»Ich möchte wieder heiraten«, sagte sie leise. »Bist du immer noch gegen eine Scheidung, oder können wir uns endlich einigen? Sag, was du willst, und dann bringen wir es schnell hinter uns. Okay?«
Alfreds Gedanken überschlugen sich. Er fühlte sich durch Gretes Vorschlag völlig überrumpelt und hustete verlegen. Dann fuhr ihm ein heißer Sog durch den Körper, so sensationell war die Idee, die ihm in diesem Moment kam.
»Hunderttausend«, sagte er. »Dann kannst du die Scheidung haben.«
»Hunderttausend?« Grete schluckte.
»Hunderttausend. Dein Vater bezahlt die Summe sicher liebend gerne und obendrein aus der Portokasse. Meinetwegen können wir es dann auch schnell hinter uns bringen.«
»Hunderttausend sind ne Menge Geld.« »Wenn man unbedingt heiraten will und so begüterte Eltern hat wie du, ist es ein Klacks. Fünfzigtausend sofort, und Fünfzigtausend, wenn das Scheidungsurteil gesprochen ist.«
»Ich muss mit meinen Eltern reden. Wie kann ich dich erreichen?«
»Ich habe ein Postfach in Hamburg. Nummer 10 23 56. Aber keine Sorge, in zwei Tagen melde ich mich wieder.«
»Gut.« Grete seufzte hörbar.
»Ach, noch etwas. Ich habe nur Interesse an dem Geschäft, wenn es schnell geht. Sag das deinem Vater. Wenn ich ein halbes Jahr auf mein Geld warten muss, kannst du deine Hochzeit vergessen. Montag komme ich nach Gifhorn. Da will ich die erste Rate.«
Er legte auf und fühlte sich wie ein Hundertmeterläufer nach dem Weltrekord. Denn Grete würde das Geld beschaffen, das wusste er.
25
Eine Woche später machte Alfred einen Fünfundzwanzig-Kilometer-Lauf um die Alster. Immer dieselbe Strecke, eine Runde nach der anderen. Er wollte nachdenken.
Gretes Vater Heinz hatte ihm fünfzigtausend Mark bar übergeben, mit ziemlicher Sicherheit Schwarzgeld, was Alfred aber nicht weiter interessierte. Spätestens im kommenden Frühjahr sollte die Scheidung durch sein, im Sommer wollte Grete dann einen Oberstudienrat aus Hannover heiraten. Alfred machte keine weiteren Schwierigkeiten, an Jim hatte er kein Interesse, und Grete war ihm eigentlich schon immer egal gewesen.
Es ging ihm gut. Alles war in Ordnung. Finanziell war er eine ganze Weile aus dem Schneider, aber er musste sehen, dass es so blieb. Er musste das Geld vermehren, damit er in ein paar Jahren nicht wieder mit leeren Händen dastand.
Alfred hatte die Fünfzigtausend in seiner Wohnung sorgfältig versteckt. Zum ersten Mal fürchtete er, dass jemand bei ihm einbrechen könnte. Er hatte es gestern Abend unter der Bettdecke gezählt, damit keiner von den Nachbarn etwas sehen konnte, denn Gardinen gab es vor seinen Fenstern nicht.
So viel Geld. Noch nie hatte er so viel auf einem Haufen gesehen. Es war ein berauschendes Gefühl. Wenn du das sehen könntest, Rolf, dachte er, du würdest schielen, wie du noch nie geschielt hast, deine Augen würden in ihren Höhlen Kobolz schießen.
Rolf. Mit ihm hätte er sein Leben verbringen und all seinen Besitz teilen können. Mit ihm wäre das möglich gewesen. Wahrscheinlich wäre alles anders gekommen, wenn das damals mit Rolf nicht passiert wäre.
Alfred rannte und rannte. Er spürte weder seinen Atem noch die Muskeln seiner Beine. Er wurde nicht müde und vergaß, die Runden zu zählen. Er dachte auch nicht mehr an Geld, er dachte nur noch an Rolf. Tränen traten ihm in die Augen, vielleicht war es der schneidend kalte Wind, vielleicht aber auch die Erinnerung.
Alfred war ein Kind, das ständig allein war. Die Familie lebte von einer geringen Witwenrente, die Mutter hatte mit dem Viehzeug (so nannte sie die Tiere), dem Kroppzeug (so nannte sie die Kinder), dem Garten und dem Haushalt genug zu tun. Die Felder hatte sie verpachtet. Die Zwillinge fanden ihren kleinen Bruder schrecklich öde, und Rolf musste seiner Mutter helfen. Schularbeiten konnte er erst machen, wenn am Abend die Kühe gemolken, die Schweine gefüttert und die unentwegt quengelnden Zwillinge im Bett verschwunden waren. Rolfs Leistungen wurden schlechter, er war ständig
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