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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Bettina, bitte nicht böse sein.«
    23
    Der Junge hieß Florian Hartwig, saß inmitten einer Sandburg auf einem aus Sand gebauten Sitz vor einem aus Sand gebauten Tisch. Den Tisch zierten mehrere Sandkuchen in Form einer Schnecke, eines Fisches, einer Schildkröte und einer Katze.
    Florian war erst wenige Stunden tot, als ihn ein Jogger morgens
    um sechs in der Sandburg entdeckte. Als man spezifische Auffälligkeiten und Einzelheiten des Tatorts und Ergebnisse der Obduktion in den Computer eingab, stellte sich sofort die Verbindung zu Daniel Doll und Benjamin Wagner her, denn auch diesem letzten Opfer, das ebenso klein, zart und blond war wie Daniel und Benjamin, fehlte der obere rechte Eckzahn. Post mortem herausgebrochen mit einer Zange.
    Unter der Leitung von Mareike Koswig und Karsten Schwiers formierte sich die Soko neu. Mareike spürte, dass dieser Mörder dabei war, ihr ganzes Leben zu bestimmen, und das machte sie wütend.
    Die Soko bestand aus vierzig Beamten, darunter mehrere Polizeipsychologen, die versuchten, ein Täterprofil zu erstellen und darzulegen, was in dem Mörder vorging und aus welchen Beweggründen er handelte.
    Solange das Opfer in der Gewalt des Mörders war, um sein Leben bettelte, brav zu sein versuchte und alles tat, was er wollte, übte er über den kleinen Jungen die perfekte Kontrolle aus. Keine Bewegung, kein Laut, keine Geste, keine Miene entging ihm und wurde von ihm augenblicklich belohnt oder bestraft. Er bestimmte Länge und Dauer der Qual und der Angst, er diktierte die Spielregeln. Und er ließ dem Kind immer noch ein kleines bisschen Hoff nung, die Aussicht auf einen möglichen Gewinn des Spiels, damit es nicht resignierte und sich verweigerte. Er reizte die Situation aus bis zum Überdruss, bis er in Vergewaltigung und Mord seine Dominanz auslebte. Es war die Macht, die ihn erregte, nicht der Akt der Vergewaltigung an sich. Dieser omnipotente Moment löschte für eine gewisse Zeit jede selbst erlittene Erniedrigung und erfüllte ihn mit tiefer Zufriedenheit. Es gelang ihm, zumindest für eine Weile sämtliche Risse in seinem Selbstbewusstsein zu kitten.
    Danach begann er mit der Manipulation der Leiche und des Tatortes, mit der er der Tat seinen unverwechselbaren persönlichen Stempel aufdrücken wollte. Niemand sollte ihm den Triumph nehmen, man sollte sich seiner erinnern. Und außerdem versuchte er, mit dieser Bühne die Polizei zu manipulieren. Sie sollte sich ein ganz bestimmtes Bild von ihm machen: Seht her, ich bin kein pri mitiver, gewöhnlicher Mörder, der irgendwo über ein Kind herfällt, es missbraucht und die Leiche einfach liegen lässt. Nein, ich stelle euch eine Aufgabe und fordere euch heraus. Ich werde alles daransetzen, meine Taten zu perfektionieren. Aber jetzt seid ihr an der Reihe. Ich werde euch beobachten, und falls ich einen Fehler gemacht haben sollte, werde ich ihn in Zukunft vermeiden. Da könnt ihr sicher sein.
    Mareike hatte die Botschaft verstanden. Offensichtlich zehrte er lange von seinen Taten, der Akku seines Selbstwertgefühls entlud sich nur langsam. Er hatte es nicht nötig, sich bereits eine Woche später erneut ein Opfer zu suchen, er hatte Zeit. Zwischen den Morden lagen jeweils drei Jahre.
    Jede Tat war ein Erfolg. Er war zufrieden mit sich, und wenn er zufrieden war, war er die Ruhe selbst.
    Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder tötete er wahllos irgendwo und suchte sich Tatorte, die möglichst weit auseinander lagen, um die Polizeiarbeit zu erschweren und möglichst unterschiedliche Direktionen zu beschäftigen, oder er tötete immer in unmittelbarer Nähe seines Wohnortes — aber in diesem Fall zog er offenbar häufig um. Was einen Grund haben musste.
    Ein Mensch, der häufig umzog, war meist ungebunden. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte er weder Frau noch Kinder, keinen festen Job und schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch.
    Mehr Schein als Sein. Er war ein Versager. Ein armes Würstchen. Davon war Mareike überzeugt.
    Karsten und Mareike saßen Tage und Nächte zusammen, hatten tausende Male die Tatortfotos in der Hand und spekulierten über Charakter und Motiv des Täters.
    Und noch etwas erkannte Mareike: Alle drei Jungen waren vom Täter mit bloßen Händen erwürgt worden. Die Daumen des Mörders hatten mit großer Kraft den Kehlkopf zugedrückt. Der Täter musste seinen Opfern also ins Gesicht gesehen und das langsame Eintreten des Todes beobachtet haben, als er sie umbrachte. Das empfand er nicht mehr nur als

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