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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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hätte sagen müssen, okay, um acht. Aber ich möchte vorher nach Hause, duschen, mich umziehen, die Katze füttern. Aber sie hatte es nicht gesagt. Weil sie nie die sagte, was sie eigentlich wollte. Jetzt ging sie essen in Jeans und buntem Ringelpullover, den ihre Mutter ihr vor Jahren gestrickt hatte. Mit Querstreifen in Regenbogenfarben, die zwar ein bisschen dick machten, aber die Kinder liebten den Pullover, weil er so schön bunt war.
    Ich werde ihm sagen, dass ich es mir anders überlegt habe, dass ich nicht mit ihm essen gehe, dass ich gar keine Lust habe. Außerdem habe ich jetzt erst im Terminkalender gesehen, dass ich keine Zeit habe ... Doch als sie sich den Mantel auszog, wusste sie ganz genau, dass sie es ja doch nicht tun würde.
    Marlies kam auf sie zu und grinste. »Na? Was hat er gesagt? Dass er ein Kinderschänder ist, sich aber noch nicht entschieden hat, wen er nächste Woche in den dunklen Wald locken will?«
    »Nein. Er hat mich zum Essen eingeladen. Er hat mich beobachtet, Marlies, nicht die Kinder!«
    Marlies war baff. »Und? Gehst du hin?«
    Carla nickte und schämte sich schon wieder, aber Marlies fand das Ganze spannend. »Großartig. Aber tu mir einen Gefallen und iss nicht wieder vor lauter Bescheidenheit das Allerbilligste. Und nimm auch eine Vorspeise. Und schlag auf keinen Fall den Aperitif aus. Nimm Champagner, nicht Sherry oder einen albernen Prosecco. Gönn dir alles was du dir selbst nicht leisten würdest. Mach dir einen schönen Abend, genieße das Leben und überlege dir bitte erst hinterher, ob dich der Typ interessiert oder nicht. In die Wüste schicken kannst du ihn auch noch, wenn er dich nach Hause bringt.«
    Carla nickte und lächelte.
    »Wo geht ihr hin?« Marlies war jetzt richtig in Fahrt.
    »Keine Ahnung. Er holt mich hier um sechs ab.«
    »Waaaas? Soll das heißen, du gehst in diesem fürchterlichen Klein-Lieschen-Ringelpullover essen? Das kann doch nicht dein Ernst sein!?«
    Natürlich. Marlies hatte den Schwachpunkt sofort entdeckt. Marlies hätte sich niemals so die Butter vom Brot nehmen und derart überrumpeln lassen. Marlies hätte intuitiv richtig reagiert.
    »Ich brauch mich doch für so 'nen Typen nicht extra schick zu machen«, versuchte sich Carla zu verteidigen.
    »Nee. Für so 'nen Typen nicht. Aber für dich. Und du kannst weder das Essen noch den Abend genießen, wenn du aussiehst wie Clown Dolly, der darauf wartet, mit Sahnetorten beworfen zu werden. Praktisch, rundlich, gut. Ungeschminkt und fern der Heimat. So, wie man eben aussieht, wenn man im Kindergarten arbeitet, Carla, aber nicht, wenn man essen geht!«
    »Was soll ich denn machen?« Marlies hatte ja völlig Recht. »Fahr in der Mittagspause nach Hause und zieh dich um. Ich halte hier die Stellung. Kein Problem.«
    Carla nickte. »Danke, Marlies.«
    Als sie ins Büro ging, um den Dienstplan für die kommende Woche aufzustellen, überlegte sie, wer hier eigentlich die Chefin war.
    Es war erst halb elf, als sie an diesem Abend nach Hause kam. Sie zog die Tür hinter sich ins Schloss, zog ihre Schuhe aus, und augenblicklich kam die Katze und strich ihr um die Beine, schnurrend und um Liebe bettelnd.
    Sie nahm sie mit in die Küche, spendierte ihr ein paar Brekkies und kramte im Küchenschrank nach einer vergessenen Tafel Schokolade. Dann legte sie sich aufs Bett, streichelte die Katze auf ihrem Bauch, hörte leise sphärische Musik von Sade, aß ein Stück Schokolade nach dem andern und ließ den Abend noch einmal in Gedanken vorbeiziehen.
    Alfred hieß er. Alfred. So altmodisch, dabei war er doch noch gar nicht so alt. Sie hatte ihn gefragt, und er hatte auch bereitwillig geantwortet. »Sechsunddreißig«, sagte er. Ein Alfred, der sechsunddreißig war. Sie hatte gedacht, die Alfreds gehörten alle der Generation ihrer Großväter an und wären allmählich ausgestorben. Alfred Fischer. So banal.
    Er hatte sie gefragt, oh sie einen Aperitif wolle. Normalerweise hätte sie den Kopf geschüttelt, doch jetzt nickte sie. »Ein Glas Champagner für die Dame«, sagte er zum Kellner, als könne er in ihren Kopf gucken. Sie hatte gar nichts gesagt.
    Als Vorspeise wählte sie ein Lachscarpaccio und danach eine gefüllte Poularde mit Tortellini. Dabei kam sie sich zwar schrecklich unverschämt vor, aber sie dachte an das, was Marlies gesagt hatte. Alfred bestellte nur einen Teller Pasta, Penne all' arrabiata, und machte ihr dadurch erst recht ein schlechtes Gewissen. Als sie das Lachscarpaccio aß und er

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