Der Kindersammler
Nonna strickte, während sie im Kamin, direkt neben dem Feuer saß.
Die Piazza war von nun an tadellos gefegt, auf dem Altar der kleinen Kirche standen ständig frische Blumen, und die Nonna wurde nach Jahren sogar wieder auf der Straße gesehen. Langsam schlurfend, aber für kurze Zeit sogar aufrecht. Allora karrte sie auf einer Schubkarre ins Dorf, kippte sie an der alten
Kastanie vorsichtig aus und stützte sie beim Gehen. Die Kinder fürchteten sich jetzt vor allen beiden und bewarfen sie mit Maronen, die Allora aufsammelte und abends über dem Feuer röstete.
Es war ein kalter Februarmorgen, als Allora aus ihrer winzigen Kammer kletterte und sich über den Gestank wunderte, der aus Nonnas Zimmer kam. Nonna lag auf dem Fußboden, die Augen starr zur Decke gerichtet, aber mit einem spöttischen Lächeln um die Mundwinkel, als könnte sie selbst nicht glauben, dass der Tod sie doch nicht vergessen hatte. In ihren Armen lag die Flasche Amaro, beschützt wie ein schlafendes Kind. Im Sterben hatte sie sich beschmutzt, als wolle sie auf den Tod scheißen, aber es war ihr nicht gelungen. Er hatte sie besiegt.
Allora wusch sie sorgfältig und rollte sie in das einzige frische Laken ein, das Nonna besessen und für den Fall ihres Todes immer sorgsam gehütet hatte. Sie kämmte ihr ein letztes Mal die verfilzten, staubigen, aber immer noch tiefschwarzen Haare, nahm ihre magere, geliebte Nonna auf die Arme und fuhr sie mit der Schubkarre in die Kirche. Dort legte sie sie vor den Altar, nahm die Blumen aus der Vase und streute sie über sie. Dann küsste sie sie das erste, letzte und einzige Mal in ihrem Leben auf die Stirn, sagte »allora« und verließ die Kirche.
Wieder zu Hause nahm sie ihre Schuhe vom Fensterbrett, bekreuzigte sich vor der Heiligen Jungfrau, ging langsam von Raum zu Raum und steckte das Haus in Brand.
Von nun an wohnte sie bei Fiamma und Bernardo im Haus. Sie hatte ein eigenes Zimmer, weiß getüncht und sauber, mit einem Bett, einem Tisch und zwei Stühlen, einem Schrank und einem Regal, auf das sie ihre Schuhe stellte. Es war ein schönes Zimmer mit einem Feigenbaum vor dem Fenster und mehreren Stunden Sonne am Morgen. Aber Allora war unglücklich. Sie vermisste die kriechende und vor sich hin sabbernde Nonna, die ihre schwarzen Haare in die Minestrone hängen ließ und mit ihrem zahnlosen Mund lachte, wenn sie in der Brühe eine Karotte fand. Die stundenlang geduldig am Fenster saß und auf den räudigen Kater wartete, der nur alle paar Tage durchs Fenster sprang, seine Flöhe abschüttelte und dann auf Nonnas Schoß einschlief. Sie streichelte ihn stundenlang mit ihren gichtigen Fingern und ließ ihn die Minestronebrühe saufen, bis sie sie dann selbst zu Ende aß und schließlich Allora den Teller ausleckte. Manchmal kam der Kater auch mitten in der Nacht, rollte sich zwischen Nonnas Füßen zusammen und wärmte sie wie eine Wärmflasche aus struppigem Fell.
Fiamma hatte Allora nie verziehen, dass sie das Haus der alten Giulietta angezündet hatte. Die Gemeinde hätte es sicher verkaufen und mit dem Geld etwas Sinnvolles anfangen können. Wochenlang war sie unwirsch und unleidlich und gar nicht mehr so freundlich wie früher. Und immer wieder fragte sie Allora, warum sie es getan hatte.
»Allora«, sagte Allora.
Fiamma schüttelte voller Unverständnis den Kopf und bereute mittlerweile, Allora aus dem Heim geholt und aus ihrem Gitterbett befreit zu haben.
Aber Allora fegte weiterhin die Straße und die Piazza holte die Blumen für die Kirche und bepflanzte Nonnas namenloses Grab. Aus dem Wald holte sie einen Stein, den sie auf das Grab setzte. Sie hätte gern »Mia Nonna« hineingeritzt, aber sie konnte nicht schreiben.
Ab und zu wusch sie den Wagen des Bürgermeisters und mähte den Rasen vor dem Haus, während Bernardo mit wichtigen Leuten — dem Geometer, dem Geologen, dem Architekten und dem Baustoffhändler — Grappa trank. Und die Männer sahen ihr dabei zu, wie sie barfuß hinter dem Rasenmäher herlief, der ganz allein und wie von Geisterhand über die Wiese fuhr und nur noch gelenkt werden musste.
Bernardo sagte: »Ich glaube, sie hat noch viel mehr Talente, als man denkt«, und die Männer lachten, und Allora dachte, das ist aber nett, dass Bernardo das sagt.
Es waren die ersten warmen Tage und die Zeit des Mohns, der jede Wiese, jeden Olivenhain und jede Steinterrasse mit leuchtenden Blüten überzog, als hätte Monet ein Meer von roten Punkten auf die Leinwand
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