Der Kindersammler
Sie schämte sich, und zum ersten Mal mochte sie sich selbst nicht mehr und auch nicht ihren Namen. Sie hatte sich verliebt.
Von nun an suchte sie ihn, und sie fand ihn überall. Sie lag auf der Lauer an der Straße, die von Montebenichi über San Vincenti in Richtung Castelnuovo Berardenga oder San Gusme, Moncioni, Monte Luco oder Montevarchi führte. Er kam fast immer hier vorbei, denn er wählte mit seinen Gästen lieber den Nebenweg, die Schotterstraße durch wunderbare Wälder und Weinberge, als die Hauptstraße, die schnellere, aber auch hässlichere Variante.
Sie verfolgte ihn, belauerte ihn, beobachtete ihn, sie tauchte wie aus dem Nichts lächelnd vor ihm auf und verschwand ebenso schnell wieder. Kaum sah sie ihn, fehlten ihr die Worte, in seiner Gegenwart war sie hilflos. Sie hatte keine Idee, wie sie ihn auf sich aufmerksam machen sollte, traute sich nicht, ihn so dreist zu küssen wie all die anderen, und verging fast vor Sehnsucht.
Und sie fiel beim Bürgermeister in Ungnade, weil sie ihn nicht mehr in ihre Kammer ließ.
Kai konzentrierte sich wieder auf die Schraders und versuchte, nicht mehr an Allora zu denken. Sie würde sicher auch noch in einer Stunde da draußen stehen.
Die Schraders betraten gerade die Küche, die beherrscht war von einem riesigen Kamin, der die gesamte Breitseite des Raumes einnahm.
»Er ist so extrem groß, damit man in kalten Nächten direkt im Kamin neben dem Feuer sitzen konnte«, erklärte er.
»Ach, du lieber Himmel«, meinte Frau Schrader wenig beeindruckt. Und dann zu ihrem Mann: »Herbert, komm, wir verschwenden hier nur unsere Zeit. Der Palazzo interessiert mich nicht.«
Die kleine Wohnung, die dem Palazzo direkt gegenüberlag, wollten die Schraders gar nicht erst anschauen, das heißt, Frau Schrader wollte sie nicht sehen. Herr Schrader bekam einen frustrierten Zug um den Mund, da er gerade versuchte, sich damit abzufinden dass er gegen den Willen seiner Frau keine Geschäfte in der Toscana machen konnte.
Und dann ging alles schief. Sie fuhren nach Collina, das San Vincenti direkt gegenüberlag und leicht durch einen kleinen Waldweg zu erreichen war. Aber man konnte nicht direkt bis zur Halbruine vorfahren, und Herr Schrader trat in ein Wühlmausloch, verstauchte sich den Fuß und konnte nur noch humpelnd weiterlaufen. Seine Frau machte ihm Vorwürfe, dass er nie darauf achtete, wo er hintrat, und Herr Schrader war derartig gereizt, dass er für die Schönheit des Olivenhains, der sich bis ans Haus erstreckte, keinen Blick mehr hatte.
Direkt vor dem Haus trat Frau Schrader, obwohl sie stets darauf achtete, wo sie hintrat, in einen Haufen Pferdemist, und als sie schließlich die paar Stufen zum Haus hinaufsteigen wollten, machte sich eine Viper aus dem Staub.
Frau Schrader hatte jetzt gründlich die Nase voll und wollte ins Hotel zurück. Sie wollte Collina nicht mehr von innen sehen, sie wollte gar nichts mehr sehen und gar nichts mehr kaufen, die ganze Toscana gefiel ihr nicht mehr. Ein kleiner Bungalow in Spanien mit Blick aufs Meer und Hausmeister in einer abgeschlossenen Anlage, das wäre es viel eher. Wo die Häuser sauber und or dentlich und weiß verputzt waren, wo es gepflegten Rasen vor dem Haus gab und keine Wühlmauslöcher, keine Pferdeäpfel und schon gar keine Vipern. Wo der kleine Sparmarkt nur hundert Meter entfernt war und alle deutsch sprachen. Sie hatte keine Lust mehr. Sie wollte abreisen. Sofort.
Herr Schrader nickte nur. Ergeben und resigniert.
Was für ein Tag, dachte Kai, da kann man sich ja nur noch in die nächste Kneipe setzen und sich voll laufen lassen. Und beten, dass man Leuten wie den Schraders nie wieder begegnet.
Collina war in dieser Gegend eins der schönsten Häuser, das er kannte. Mit einem Blick, der seinesgleichen suchte. Doch den hatten die Schraders gar nicht bemerkt.
Als sie zum Auto gingen, drehte er sich noch einmal um. Im Fenster stand Allora und winkte ihm zu. Sie hatte auf ihn gewartet. Er winkte nicht zurück. Er hatte Sehnsucht nach Anne und ver suchte jetzt zum zwanzigsten Mal, sie auf ihrem Handy zu erreichen.
44
Anne hatte in ihren Träumen versucht, Valle Coronata zu rekonstruieren, aber in ihrem Kopf ging alles durcheinander. Waren da drei oder vier Zimmer im Haupthaus, hatte die kleine Mühle ein Bad oder nicht, gab es Licht auf der unteren Terrasse am Naturpool? Konnte man dort überhaupt das Wasser ablassen? Und wenn ja: wie?
Sie wusste gar nichts mehr. Harald hatte völlig Recht, sie brauchte
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