Der Klabautermann
und versuchte sie zu umarmen. »Beruhige dich, mein Liebes …«, stotterte er. »Beruhige dich doch, es ist ja nichts passiert.« Dann ruckte sein Kopf hoch, und er schnarrte Dr. Schmitz an:
»Sie phantasiert. Können Sie nichts dagegen tun? Sie phantasiert … Du lieber Himmel, ist das eine ärztliche Betreuung!«
»Ich phantasiere doch nicht.« Erna Falkenhausen war nun wieder bei voller Besinnung. Sie erwiderte den Kuß ihres Mannes und richtete sich mit seiner Hilfe zum Sitzen auf. Erst jetzt merkte sie, daß ihr Kleid hinten aufgezogen war. Verständnislos blickte sie von Kapitän Hellersen bis zu Dr. Schmitz. »Es war wirklich so … Was ist denn mit meinem Kleid los?«
»Das wollen wir jetzt in aller Ruhe klären.« Dr. Schmitz gab ihr ein Glas mit einer aufgelösten Tablette, das Schwester Emmi ihm reichte. Erna trank es aus und lehnte sich dann an ihren Mann.
»Beschreiben Sie uns bitte, wie der Kerl aussah«, sagte Dornburg mit gedämpfter Stimme.
»So … so genau habe ich ihn nicht gesehen …« Erna Falkenhausen schluckte mehrmals. »Ich bin ja sofort ohnmächtig geworden. Ich weiß nur: Es war schrecklich, schrecklich … Das Gesicht wie eine Fratze … wirklich, eine richtige Fratze … Stechende Augen … Und dann lachte er mich an … lachte … das ging durch Mark und Bein … Mehr weiß ich nicht. Es war entsetzlich … entsetzlich!«
»Genug!« Dr. Schmitz hob die Hand. »Gnädige Frau, Sie legen sich jetzt erst einmal nebenan ins Bett und schlafen. Schwester Emmi wird bei Ihnen sein und auf Sie aufpassen. Ich habe Ihnen gerade eine Tablette gegeben, nach der werden Sie fabelhaft schlafen. Und morgen früh ist wieder ein normaler Tag.«
»Morgen …« Erna begann leise zu weinen. »Heute ist unsere Silberhochzeit.«
»Wir holen alles nach, Schatz … alles …«, sagte Falkenhausen. Er stützte seine Frau, als sie von der Liege rutschte, und führte sie mit Schwester Emmi nebenan in eines der Krankenzimmer. Die Herren warteten, bis sich die Tür geschlossen hatte.
»Das ist ja 'n Ding!« sagte Dr. Schmitz verblüfft. »Was halten Sie davon?«
»Wir – das heißt Frau Falkenhausen – haben ein ungeheures Glück gehabt.« Hellersen schlug die Fäuste gegeneinander. »Stellen Sie sich vor, die Vergewaltigung wäre gelungen! Dieser Skandal!«
Dr. Schmitz verzichtete auf eine Antwort; Falkenhausen kam zurück in den Behandlungsraum.
»Sie schläft schon«, sagte er rauh. »Was werden Sie unternehmen, meine Herren?«
»Eins ist klar …« Hartmann versuchte, die richtigen Worte zu finden. »Ihre Gattin hat das wirklich erlebt. Sie phantasiert nicht. Wir wissen, daß hier jemand an Bord herumspukt.«
»Aber es gibt doch keinen Klabautermann!« sagte Falkenhausen laut.
»Natürlich gibt es den nicht.« Kapitän Hellersen war Schwester Emmi unendlich dankbar, daß sie als klar denkendes Wesen jetzt mit einer Flasche Kognak kam und Gläser auf einem Tablett balancierte. »Aber wir haben zwei Erklärungen anzubieten: Einmal haben wir einen blinden Passagier an Bord, der sich überall Eßbares stiehlt und schon einen Fahrgast angefallen hat, weil er eine Apfelsine wegnehmen wollte. Zum anderen muß es sich um einen Passagier handeln, der in einer furchterregenden Maske die anderen Fahrgäste erschrecken will – was ihm auch gelingt.«
»Und warum?« Falkenhausen war konsterniert. »Warum denn bloß? Was hat er denn davon?«
»Die Menschen sind voller Überraschungen.« Dr. Schmitz verteilte den Kognak und wartete, bis jeder einen Schluck genommen hatte. »Es gibt Abnormitäten, die halten Sie nicht für möglich. Fetischisten … Sadisten … Päderisten … es wimmelt unter uns von ›isten‹. Man merkt es bloß nicht.«
»Und Sie glauben, Doktor, daß meine Frau das Opfer …« Falkenhausen zögerte, er blickte plötzlich in einen ungeheuren Abgrund menschlichen Verhaltens.
»Ich bin fast sicher, daß es sich hier um einen Sadisten handelt. Alles deutet darauf hin: BH am Fahnenmast, wandernde Liegestühle, die Taurolle auf dem Kopf unseres verehrten Leitenden Ersten« – Schmitz machte eine Verbeugung zu Hartmann, der sauer zurücklächelte – »ein Lachen, das selbst Beatrice fast aus den Schuhen kippen ließ, und jetzt der Stoß in den Rücken Ihrer Gattin, begleitet von einem widerlichen Lachen, wie gehabt … das ist ein Sadist, der Freude an der Aufregung und der Angst seiner Mitmenschen hat. Er will Panik machen.«
»Und wenn Sie das alles wissen, meine Herren«, sagte
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