Der Klang Deiner Gedanken
Freunde herauszubekommen. Die Einladungen sind rausgegangen, wenn auch ein wenig zu spät, wie ich fürchte.“
Dieser Tropfen brachte das Fass zum Überlaufen. Allie ging wutentbrannt auf ihre Mutter zu. „Wie kannst du es wagen, Einladungen zu verschicken, wenn ich die Hochzeit abgesagt habe?“
Ihre Mutter wich dem Wutschwall aus. „Wie redest du denn mit deiner Mutter?“
„Du kannst nicht einfach mein Leben für mich steuern. Glaubst du wirklich, ich heirate Baxter, nur weil du eine ganze Hochzeit geplant hast?“
„Wenn du es genau wissen willst, ja. Es kommen über hundert Leute zu dieser Hochzeit. Und genau das wollten dein Vater und ich mit dir besprechen. Wir haben dir Anstand und Manieren beigebracht und du weißt wohl, dass man auf seiner eigenen Hochzeit nicht zu fehlen hat.“
Allie lief auf dem Marmorfußboden hin und her. „Ich fasse es einfach nicht. Zuerst dachtet ihr, ich heirate Baxter, nur damit alle zufrieden sind. Aber ihr lagt falsch. Dann habt ihr gedacht, ich gebe klein bei, wenn ihr mir mein Erbe wegnehmt. Aber das habe ich nicht. Wie kommt ihr bloß darauf, dass ich bei dieser Intrige nun einknicke? Glaubt ihr wirklich, ich würde gegen Gottes Willen verstoßen, weil der Anstand das verlangt? Das Gerede der Leute und der Skandal und euer Anstand sind mir egal. Völlig egal!“
„Allie Miller!“ Ihr Vater kam wütend aus seinem Arbeitszimmer gestürmt und stellte sich neben ihre Mutter. „So redest du nicht mit deiner Mutter. Entschuldige dich auf der Stelle.“
„Nein, das werde ich nicht“, sagte Allie aufgebracht. „Ich bin dreiundzwanzig und kann sehr wohl meine eigenen Entscheidungen treffen. Ihr könnt nicht einfach einen Partner für mich aussuchen! Wir leben nicht mehr im Mittelalter, sondern schreiben das Jahr 1943!“
Allies Mutter wurde puterrot. „Das ist noch lange kein Grund, respektlos mit uns umzugehen.“
„Ich gehe immer respektvoll mit euch um. Aber ihr nicht mit mir! Ich bin erwachsen und es wird Zeit, dass ihr mich auch so behandelt.“
Das Gesicht ihres Vaters wurde steinhart. „Du willst wie eine Erwachsene behandelt werden? Das kannst du haben. Ab dem 3. Juli sind wir nicht länger für dich zuständig, weder für dein Auskommen noch für deine Unterkunft. Heirate Baxter oder du bist ganz auf dich allein gestellt. Auf diesen Teil des Erwachsenenlebens bist du nämlich nicht gefasst, mein Fräulein.“
Eine traurige, aber ruhige Entschlossenheit machte sich in Allie breit. Auf sich allein gestellt? Das war dann wohl das Beste für sie. Wie sollte sie weiterhin mit Menschen zusammenleben, die sie nicht wirklich liebten und als gleichwertig respektierten? Sie drehte sich langsam zur Treppe um. Eine Woche blieb ihr, aber so lange würde sie es hier nicht mehr aushalten. Vielleicht könnte sie bei Cressie auf dem Sofa schlafen, bis ihr etwas anderes einfiel.
„Am dritten Juli“, wiederholte ihr Vater. „Entweder du kommst zur Hochzeit oder du bist nicht länger unsere Tochter.“
„Du bist in diesem Haus nur noch als Mrs Baxter Hicks willkommen“, fügte ihre Mutter hinzu.
Allie legte ihre Hand auf das edle Treppengeländer und stieg die Treppe hinauf. Als Kind hatte sie sich nie getraut, darauf herunterzurutschen. Oben drehte sie sich um und sah durch ihre Tränen erst ihre Mutter an, wie immer piekfein, und dann ihren Vater, der nicht mehr ihr Beschützer war.
„Ich werde euch beide sehr vermissen.“
* * *
„Hier, noch ein wenig Tee“, sagte Cressie.
„Nein, danke.“ Die Untertasse klirrte, als Allie die Tasse darauf abstellte. In Allie herrschte völlige Aufruhr, was bei den Ereignissen des Tages kein Wunder war – die Neuigkeiten von Cracker, die Sorge um Walt, der Streit mit ihren Eltern, die hastig zusammengepackten Habseligkeiten in Herb Galloways Taxi und das Telefongespräch mit Betty von Cressies Apparat aus.
Walt war noch am Leben. Gott sei Dank, er lebte. Betty hatte ihr von seinem schrecklichen Einsatz erzählt, von der Verwundung, der Amputation und seiner Verlegung ins Armeekrankenhaus auf dem Presidio in San Francisco.
Allies Tränen der Erleichterung hatten sich mit eigensüchtiger Trauer um seine rechte Hand vermischt. Die Hand, die ihre auf die Klaviertasten gedrückt hatte. Die Hand, die um ihre Hüfte lag, als sie getanzt hatten. Die Hand, die die Kuh, das Flugzeugmodell und das winzige Klavier geschnitzt hatte. Die Hand, die die wundervollen Briefe geschrieben hatte.
Er würde das schon schaffen. Walter
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