Der Klang Deiner Gedanken
grünen Kleid den Gang in der Riverview Community Church heruntergeschwebt war, waren alle seine Muskeln zu Stein erstarrt. Auf ihr sanftes Lächeln hin hatte er sich dazu zwingen müssen, seine Mundwinkel in eine Position zu bringen, die wahrscheinlich noch nicht einmal wie ein Lächeln aussah. Inzwischen versah der Halsmuskel wieder seinen Dienst, aber er gehorchte ihm nicht. Eigentlich sollte er zusehen, wie sein Vater die Ehe seiner Freunde segnete, aber Allie zog ihn an wie ein Magnet.
Wie sollte er mit ihr tanzen, wenn er sich nicht bewegen konnte?
Allie sah zu ihm herüber. Sein Kopf schnellte nach vorn, als würde er Dads Worten lauschen. Das war schon das zweite Mal, dass sie ihn erwischte.
Warum gerade jetzt? Warum musste er jetzt zur Salzsäule erstarren, wo er wusste, dass sie Interesse an ihm hatte? Nach dem Flirt bei der Nachtmusik gab es keinen Zweifel mehr daran. Der verträumte Blick, als er für sie gesungen hatte, und dieser Gesichtsausdruck bei der Verabschiedung. Als wollte sie, dass er die Wand hochkletterte und sie an Ort und Stelle küsste. Gestern hätte er es auch sofort gekonnt. Aber jetzt?
Ihre Taille sah in diesem Kleid noch schmaler aus; ihre Locken lagen so weich um ihre Wangen und der Ausdruck auf ihrem Gesicht war unglaublich süß. Mann, wollte er sie heute küssen.
Allie warf ihm einen neugierigen Blick zu. Er sah so ruckhaft nach vorn, dass sein Hals schmerzte. Großartig. Jetzt wusste sie sicher, dass er sie beobachtete. Und dass etwas nicht stimmte.
Walt runzelte die Stirn. Er konzentrierte sich viel zu sehr auf den Kuss. Lieber sollte er versuchen mit ihr zu tanzen und sich zu unterhalten. Die ganze Woche war ihm das so leichtgefallen, aber jetzt erschien es ihm ebenso unwahrscheinlich, wie dass Flossie plötzlich Flügel wuchsen. Wenn sie nur nicht so hübsch aussehen würde – und so leicht wie ein Gleitflugzeug.
Allie sah ihn an. Erwischt!
Bevor er sich abwenden konnte, meinte er zu sehen, wie ihre Zunge herausschnellte, wie bei einer Eidechse. Er blinzelte. Das konnte nicht sein.
Allie schielte.
Eines der damenhaftesten Wesen, das er je gesehen hatte, schnitt vor den Hochzeitsgästen für ihn Grimassen. Ein Lächeln durchbrach die Muskelstarre auf seinem Gesicht. Allie wusste, dass er nervös war und wollte ihn auflockern. So gut hatte ihn noch niemand verstanden.
Er zwinkerte ihr zu und legte all seine Gefühle in diese kleine Geste. Sie lächelte und wandte sich wieder nach vorn.
Walt prüfte seine Hände und Füße. Ja, er konnte sich wieder bewegen. Er konnte mit ihr reden, lachen und auch tanzen. Und wegen des Kusses: abwarten.
* * *
Das Messer knackte die Zuckerschicht und versank in der Torte. Allie schob den Tortenheber unter das Stück und setzte es auf dem Teller ab, den Helen Carlisles ihr hinhielt.
„Gleich haben wir es geschafft.“ Helen blickte im Raum umher. „Dorothy kümmert sich um die Getränke, die Band spielt sich warm. Wenn das Baby jetzt noch zehn Minuten ruhig ist, dann passt alles.“
Allie lächelte. Auch wenn sie Schwestern waren, waren Betty und Helen grundverschieden. Betty hasste die kleinen Details und Helen lebte davon. „Ich glaube, halb Antioch ist gekommen. Wo hast du nur den ganzen Zucker für den Kuchen her?“
„Na ja, wenn der Sohn des Lebensmittelhändlers heiratet ...“ Helen brachte noch zwei leere Teller. „Keine Sorge. Es geht alles mit rechten Dingen zu. Wir haben jeder unsere Rationen beigesteuert.“
„Apropos Rationen“, sagte Jim Carlisle und kam mit einem schreienden Bündel auf ihren Tisch zu. „Jay-Jay will seine Milchration. Deine Mutter hat zu tun, und meine ... finde ich nicht.“
Helen sah auf die Torte. „Ich bin sofort fertig.“
„Ich kann das doch machen“, sagte Allie.
„Aber ...“
Jim drückte Helen das Baby in den Arm.
Helen seufzte und gab ihrem Sohn das Fläschchen. Nach einer Weile beruhigte sich Jay-Jay und trank begierig. Helen sah Allie lächelnd an. „Babys sind zuckersüß, aber Pläne sind ihnen so was von egal.“
Allie winkte der kleinen Familie nach. Torte konnte man zwar auch allein verteilen, aber einfach war es nicht. Die nächsten Stückchen schafften es nicht bis zur Tellermitte, und eins fiel um und verlor jede Form. Sie stellte es für sich selbst beiseite.
„Hallo Allie.“
Die männliche Stimme hinter ihr kam genau richtig – oder allenfalls eine Winzigkeit zu spät. Sie war fast fünf Minuten allein gewesen. Dankbar lächelte sie Walt über die
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