Der Klang Deiner Gedanken
Apfelbäume zu Hause waren schwer beladen mit reifen Früchten und sie könnten Apfelmus kochen. Endlich würde sie ihre Mutter einmal glücklich machen.
* * *
Allie zählte die Einweckgläser durch. Die Lebensmittelkarten der Millers berechtigten sie zu sechs Pfund Zucker im Monat Oktober. Zwei Pfund hatte Allie schon in den leeren Tontopf geschüttet und mit dem Rest konnten sie einen Jahresvorrat an Apfelmus zaubern. Mit Daisys Hilfe könnte sie sogar noch vor der Chorprobe damit fertig sein.
Daisy wischte sich die Stirn und rührte in dem großen Topf die kochenden Äpfeln um. „Wieso muss die Saison zum Einwecken die heißeste Zeit des Jahres sein?“
„Das gehört wohl zu Evas Fluch.“ Allie schöpfte bereits fertig gekochte Äpfel in die Passiermühle.
„Genauso wie die Männer.“ Daisy stemmte empört einen Arm in die Hüfte. „Ist das zu glauben? Dieser freche Soldat vor dem Kino wollte sich einfach so mit mir verabreden. Ein Fremder! Ich weiß noch nicht einmal, ob er überhaupt an Gott glaubt.“
„Hm.“ Allie drehte die Äpfel durch die Mühle. Ihr Magen fühlte sich genauso an wie der Mischmasch, den sie vor sich hatte.
„Ich würde niemals einen Mann heiraten, der kein Christ ist. Wieso sollte ich dann mit so einem überhaupt ausgehen?“
„Hm“, machte Allie wieder und traute sich nichts zu sagen. Jedenfalls nicht, bis sie den Bibelvers gefunden hatte, der besagte, dass eine gläubige Frau ihren Mann zu Christus bringen konnte. Aber was, wenn sie unrecht hatte und Betty und Daisy richtiglagen? Doch das konnte einfach nicht sein. Sie musste diesen Vers finden.
Nachdem sie die erste Ladung durch die Passiermühle gedreht hatte, schüttelte sie ihren schmerzenden Arm aus. Dann kamen Zucker und Zimt dazu, das Apfelmus wurde in die Gläser gefüllt und Allie dichtete sie ab. Zu guter Letzt kamen sie auf dem weißen Emailleherd in kochendes Wasser.
„Rieche ich da etwa Apfelmus?“ Mutter holte eine Schürze aus der Schublade.
„Und ob, Mrs Miller. Aber machen Sie sich mal keine Rübe. Bis zum Abendbrot sind wir hier wieder raus.“
Das gequälte Lächeln ihrer Mutter ließ Allie zusammenzucken. Es war noch kein Wort über Allies neue Freundin gefallen, aber ihr ungehobeltes Verhalten missfiel Mutter offensichtlich.
Allie wickelte sich Handtücher um die Hände und wuchtete den Topf mit den gekochten Äpfeln zur Spüle. „Es gab heute Zucker. Zum Glück hatte ich die Lebensmittelkarten dabei.“
„Oh, gut. Baxter trinkt doch so gern Limonade.“ Mutter hob den Deckel vom Zuckertopf an. „Das ist alles?“
„Leider ja. Der Rest ist für die Äpfel. Aber wir werden mit zwei Pfund schon über den Monat kommen.“ Allie wich vor dem heißen Dampf zurück – und vor Mutters Rüge.
„Für das Allernötigste mag es ja vielleicht reichen, aber du hättest noch etwas für Limonade beiseitetun sollen. Der arme Baxter hat seit über einem Monat keine mehr getrunken.“
Jetzt fing es in Allies Kopf an zu kochen. Und es musste einfach raus. „Der arme Baxter kann sich gefälligst ein bisschen Zitrone ins Wasser mischen. Diese Äpfel müssen fertig gemacht werden. Wir können seit Wochen keinen Kuchen mehr backen, ich werde bestimmt keine Geburtstagstorte kriegen und alles, woran du denkst, ist Baxters Limonade?“
„Allie!“
Sie klatschte schlaffe Apfelstückchen aus dem Sieb in die Passiermühle. „Wenn Baxter Limonade will, soll er sich selbst Zucker kaufen.“
„Allegra Marie Miller!“
„Was? Er ist jeden Abend hier, isst unser ganzes Fleisch, trinkt unseren ganzen Zucker weg, und packt er jemals mit an? Nein.“ Wie erschreckend und befriedigend zugleich, das einmal auszusprechen.
„Allie ...“ Daisy stupste sie an und deutete in Richtung Tür.
Baxter stand da und hatte eine braune Tüte im Arm. „Es gab Zucker. Ich habe ein paar Pfund gekauft – für dich.“
Die Befriedigung war wie weggewaschen. Nur der Schrecken blieb und warf sie völlig aus der Bahn.
„Du wirst dich auf der Stelle bei Baxter entschuldigen!“ Mutters Stimme brach angesichts der ungewohnten Höhe. „Du solltest dich schämen.“
Allie schämte sich, aber es fielen ihr keine passenden Worte ein. Vor Mutter, vor Daisy und sogar vor Baxter selbst war sie lautstark über ihn hergezogen.
„Es bedarf keiner Entschuldigung.“ Baxter stellte die Tüte auf der Anrichte ab. „Ich habe schon viel zu lange eure Gastfreundschaft ausgenutzt.“
„Aber Baxter, wir tun das doch gerne für dich.“
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