Der Klang Deiner Gedanken
Lord and Pass the Ammunition“ und „White Christmas“. Dazu ein kurzer Brief:
Fröhliche Weihnachten, Walt. Ich hoffe, das hilft gegen Eure Notenknappheit. Wenn bei Euch das Wetter wirklich so feucht und regnerisch ist, kannst Du mit der Mappe deine Papiere und Noten trocken transportieren. Vielleicht passt sie ja gut zu Deiner Fliegerjacke. Dann merkt Flossie nicht, dass noch mehr Leder dazugekommen ist.
„Tolle Mappe“, sagte Louis.
„Tolles Mädchen.“
„Mach doch den anderen Brief auch auf. Neuigkeiten von zu Hause lenken dich ab.“
Der Brief war von Dad. Er hatte ihn wie immer auf der Schreibmaschine geschrieben. Dieselbe Smith-Corona, auf der er auch seine Predigten tippte. Der Bauch vom kleinen a war schwarz gefüllt, das große T stand zu hoch. Walt konnte fast das Klappern hören, den Schreibtisch aus Walnussholz riechen und sehen, wie sein Dad zwischendurch auf einem Bleistift kaute. Er schrieb doch alles mit der Schreibmaschine. Wozu eigentlich der Bleistift?
Walts Hals schnürte sich zu. Wie schön wäre es, jetzt zu Hause zu sein, Dads Stimme zu hören und Moms Essen zu schmecken. Mom wusste immer sofort, wie es ihm ging. Sie ließ ihn in Ruhe vor sich hinbrüten und hatte ein offenes Ohr, wenn dann alles aus ihm heraussprudelte. Wer würde ihm heute zuhören?
Dad schwafelte herum. Das tat er sonst nie. Dann kam der letzte Absatz:
Es gibt keinen guten Weg, schlechte Nachrichten zu übermitteln. Ich wünschte, ich könnte es Dir persönlich sagen, aber die Umstände lassen das nicht zu. Es tut mir leid, Dir mitteilen zu müssen, dass Jim Carlisle im Kampf vor Guadalcanal gefallen ist.
Du kannst dir sicher denken, wie sehr das seine Frau und seine Eltern mitgenommen hat, genauso wie alle deine Freunde hier. Und nun ist die Trauer über den Ozean bis zu Dir gekommen. Ich wünschte, ich könnte bei Dir sein, mein Sohn. Ich bete für Dich. Jetzt umso mehr.
Die Nachricht raubte ihm die Luft zum Atmen – schon wieder. „Nein. Nein. Nicht Jim.“
„Was ist los?“ Abe stand vor einer halbvollen Schachtel.
Walts Blick wanderte nach oben, ans Wellblechdach über seiner Pritsche, wo er ein paar Fotos in die Rillen gesteckt hatte. Da – Jim mit der blöden Matrosenmütze über dem Bürstenhaarschnitt, den Arm lässig um Helens Schulter gelegt. Ihr Haar wehte im Wind, sie wiegte den kleinen Jay-Jay und Jim hielt ein winziges Füßchen in Babyschuhen fest.
„Jim. Ein Freund – von zu Hause. Guadalcanal. Tot.“
„Oh nein“, sagte Abe. Louis seufzte. Cracker fluchte.
Walt schüttelte den Kopf und konnte nicht mehr damit aufhören.
„Zum Swan ?“, fragte Louis.
„Nein, zu überlaufen“, entgegnete Cracker. „Ich kenne eine Kneipe in der Stadt. Nur Einheimische.“
„Na komm.“ Louis griff nach Walts Ellbogen und zog ihn hoch. „Es ist an der Zeit, dass du ein Mann wirst. Du wirst dir jetzt ordentlich einen hinter die Binde kippen.“
Walt schüttelte den Kopf.
„Oh doch.“ Abe schob die Schachtel unter seine Pritsche. „Auf unsere Kosten. Keine Widerrede.“
„Nein.“
„Du hast den Mann gehört. Keine Widerrede“, sagte Cracker. „Du brauchst das jetzt.“
„Und was ist mit morgen?“
Cracker sah ihn mit seinen blauen Augen an – blau wie der Himmel, in dem Frank verglüht war, blau wie das Meer, das Jim verschluckt hatte.
„Und was ist mit morgen? Soll ich mich morgen auch wieder betrinken? Und übermorgen? Und überübermorgen? Bringt mir das Frank wieder? Oder Jim?“
„Natürlich nicht.“ Louis legte Walt die Hände auf die Schultern. „Aber du hast einen Schock. Wir müssen dich erst mal durch diese Nacht kriegen.“
„Danke. Ich danke euch.“ Walt drehte sich um und schüttete die Noten aus der Ledermappe auf seine Pritsche. „Aber so möchte ich diese Nacht nicht verbringen.“
„Walt ...“
„Nein.“ Er schnappte sich sein Schreibzeug, seine Bibel, ein paar Briefe, was auch immer griffbereit war, und stopfte alles in die Mappe. „Ich muss los.“
„Wohin?“
„Weiß ich nicht.“ Walt hob kurz die Hand zum militärischen Gruß, klemmte sich die Tasche vor die Brust und ging aus der Tür. Er stieg auf das erste Fahrrad, das er sah, und fuhr gen Süden, raus aus dem Stützpunkt und um das Dorf herum. Mechanisch trat er in die Pedale. Die Kette quietschte.
Erinnerungen strömten auf ihn ein. Jim und Art, die in der Grundschule hinter ihm und George hertrotteten. Zwei nervige Anhängsel – bis sie merkten, dass Jim tolle Ideen hatte
Weitere Kostenlose Bücher