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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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standen die beiden Jungen da. Wortlos nahm jeder die Wärme des anderen durch die fadenscheinigen, abgetragenen Kleider auf. Kalu wollte Bal gar nicht mehr loslassen. »Ich komme wieder«, sagte er. »Ich werde auch für dich einen Weg finden. Ganz bestimmt.« Schließlich stieß Bal ihn von sich. »Mach dir keine Sorgen um mich, Bhai. Pass einfach auf dich auf.«
    Bal watete ein Stück in den Fluss, ehe er sich umdrehte und Kalu zuwinkte. »Und eines Tages wirst du für mich spielen.«
    Kalu schwor sich, eines Tages zurückzukehren, um Bal zu holen. Der Abschied fiel ihm schwer, wenn auch die Entscheidung, den Vaid zu begleiten, leicht gewesen war. Schon während sein Fuß heilte, war Kalu klar geworden, dass das, was ein Mensch auf der Straße erreichen konnte, sehr begrenzt war. Selbst wenn er bis in alle Ewigkeit Botengänge erledigen würde – ein Haus wie Ganga Ba würde er nie besitzen. Nie würde er die Zeit haben, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf die Beschaffung von Nahrung. Doch Kalu hatte jetzt ein neues Bedürfnis. Er brauchte Zeit und die Möglichkeit, Flöte zu spielen. Spielen zu können war ebenso wichtig für ihn geworden, wie gehen zu können.
    Eines Morgens brachen Kalu und der Vaid noch vor Sonnenaufgang auf. Die Luft und die Erde waren kühl. Der Tag war noch nicht angebrochen, und alles war ruhig. Es war so still, dass Kalu glaubte, alle müssten sein Herz klopfen hören, als er die Stu
fen hinunter zum Tor ging, wo ein Wagen wartete, um sie zum Bahnhof zu bringen.
    Kalu war kaum wiederzuerkennen. So anders sah er aus als damals bei seiner ersten Begegnung mit dem Vaid. Er hielt sich gerade, obwohl man ihm ansah, dass er sich in den neuen Kleidern, die Ganga Ba und die Dorfbewohner ihm geschenkt hatten, nicht recht wohl fühlte.
    Ganga Ba hatte ihm eine ausgeblichene rosa Synthetiktasche mit Reißverschluss mitgegeben, die sie noch von den Besuchen ihrer Tochter aus Amerika hatte. Kalu mochte es sehr, wie der Kunststoff sich anfühlte, und auch von dem verblichenen Bild der blonden Frau mit der rosa Haut auf der Außentasche war er überaus angetan. In der anderen Hand trug er eine Baumwolltasche mit roten und grünen Werbeaufdrucken indischer Firmen. In ihr befanden sich Wasser und die Wegzehrung, die Brahmanji für ihn bereitet hatte. Seine Plastikflöte trug er in der Brusttasche seines Hemds.
    Malti hatte sie ihm am Abend vor seiner Abreise im Garten gegeben. »Hier. Nimm sie mit. Vielleicht brauchst du sie noch. Und vergiss nicht, uns anzurufen. Wenn sie dich durchfüttern können, können sie sich das auch leisten!« Damit machte sie kehrt und ging ohne den leisesten Hüftschwung davon.
    Kalu erkannte an diesem kerzengeraden, steifen Gang, dass sie ärgerlich war. Ob auf ihn oder auf den Vaid, war ihm unklar. »He, Malti, wenn ich zurückkomme, spiele ich für dich.«
    Sie hielt inne, nickte und trat, ohne ein Lächeln, ins Dunkel.
    *
    Kalu und Vaid Dada fuhren zum Bahnhof. Kalu hatte noch nie so viele Menschen auf einem Platz gesehen. Es roch nach heißem Metall, Diesel und Öl, und die Schienen erstreckten sich offenbar in endlose Ferne. Wie der ganze Bahnhof waren auch die Waggons voller Menschen. Kalu folgte dem Vaid in ein klimatisiertes Abteil der Zweiten Klasse. Es hätte kühl sein sollen,
doch alle Fenster standen offen, und Abgase, Schmutz und Hitze drangen von draußen ins Abteil. Kalu saß zwischen dem Vaid und einer rundlichen Dame, die ununterbrochen redete und ihm von ihren Pakora anbot. Sie waren lauwarm und ein bisschen zerdrückt, aber Kalu verschmähte niemals eine Mahlzeit. Der Vaid schloss die Augen. Kalu lehnte sich zurück an die blauen Kunststoffpolster und schloss wie der Vaid die Augen, nur um sie sofort wieder zu öffnen. Er war zu aufgeregt, um einzuschlafen. Es würde eine lange Zugfahrt sein, gefolgt von einer Nacht im Hotel. Anschließend würden sie im Auto weiterreisen. Kalu war noch nie auf eine andere Weise als zu Fuß oder manchmal mit einer Rikscha unterwegs gewesen, wenn ein mitleidiger Rikschafahrer sich seiner erbarmt hatte. Von den Dämpfen und dem Schaukeln des Waggons wurde ihm ein wenig übel. Er schluckte. Wahrscheinlich war es nicht die beste Idee gewesen, diese Pakora zu essen.
    Er schüttelte den Kopf und schnappte leicht nach Luft. Eins nach dem anderen, beschloss er. Es hatte keinen Sinn, sich zu viele Sorgen um die Zukunft zu machen, wenn schon die Gegenwart so neu war. Er sah aus dem Fenster und konzentrierte sich auf die

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