Der Klang der Sehnsucht - Roman
Anwesen. Ihr ursprüngliches Weiß kam nur dort zum Vorschein, wohin die aufsteigende Feuchtigkeit noch nicht vorgedrungen war. Der Großteil der Mauer war mit orangebraunen, ineinanderlaufenden Flecken übersät und erinnerte an das Fell einer streunenden Katze.
Das Anwesen wirkte sehr friedlich und ein wenig heruntergekommen. Kalu vermutete, dass sich hinter der Mauer ein einfacher Hof und ein ebenso einfaches Haus befanden. Der Fahrer sprang aus dem Wagen, um das hohe eiserne Tor zu öffnen, das mit Stacheldraht gekrönt und mit Glasscherben gespickt war.
Sie fuhren auf einen langgestreckten, ebenerdigen Bungalow zu, der von einer Veranda mit geschnitzten Holzpfeilern umgeben war. Der Garten war voller Pflanzen, hier und da stand eine steinerne Statue. Blutrote Bougainvilleen und Korallenpflanzen bildeten ein leuchtendes Durcheinander. Kalu hatte noch nie so viele Schattierungen von Grün gesehen. Ein Duft von Jasmin und Räucherstäbchen lag über dem Pfad wie eine leise Melodie. Gewaltige Bäume beschirmten üppige Pflanzen, die noch schwer von Feuchtigkeit waren, und einen dichten, grünen Rasen. Vogelgezwitscher und Blattgeflüster erfüllten den gesamten Garten mit lieblichen Lauten und lebendiger Heiterkeit. Dieser Musiker musste noch viel reicher sein als Ganga Ba. Kalu legte eine Hand in die des Vaid, achtete aber darauf, seine Aufregung nicht durch allzu festen Druck zu verraten. In der anderen trug er seine Taschen.
An der Tür ließ der Vaid Kalus Hand los, um an einer großen
Bronzeglocke zu ziehen. Er streifte seine Champal ab, ließ sie neben der Tür stehen und winkte Kalu, der sich die nackten Füße an der Matte und die Hände an der Hose abwischte, ehe er dem Vaid ins Haus folgte.
Nach der Wärme im Freien fühlte sich der Granitboden kühl an. Es war dunkel im Haus, und anfangs fiel es Kalu schwer, überhaupt etwas zu erkennen. Er folgte der Silhouette des Vaid, der einen kurzen Gang entlangging und dann einen Raum auf der rechten Seite betrat.
Hier war es blendend hell. Kalu blieb sacht in den Türrahmen gelehnt stehen. Sein Gepäck stellte er vorsichtig auf dem Boden ab.
»Willkommen, Bhai, entschuldige, dass ich euch nicht an der Tür begrüßt habe. Ich habe den Wagen gar nicht gehört, so vertieft war ich.« Ein Mann erhob sich von einem mit Büchern bedeckten Schreibtisch, nahm seine Brille ab und kam auf sie zu.
Er wirkte größer als der Vaid, doch als sie sich umarmten, sah Kalu, dass sie etwa gleich groß waren. Der andere Mann hielt sich nur besonders gerade. Sein langes, weißes Haar wirkte gepflegt. Er trug eine einfache, cremefarbene Kurta, einen Baumwoll-Dhoti, Socken und einen blassblauen Schal. Als die beiden Männer sich voneinander gelöst hatten, beobachtete Kalu, wie der Vaid die Gelenke und Fingernägel des Mannes betastete.
»Und das ist Kalu.« Kalu straffte die Schultern, als der Musiker, den alle ehrfürchtig und liebevoll zugleich »Guruji« nannten, seinen klaren, scharfen Blick auf ihn richtete.
»Ich habe schon viel von dir gehört, Junge. Steh nicht rum, komm rein.« Er winkte Kalu mit einer fließenden Geste zu sich. Seine Hände wirkten jetzt größer. Seine schwieligen Fingerkuppen hatten harte, kleine Dellen vom jahrelangen Flöte-Spielen, vielleicht auch von anderen Instrumenten. Kalu rieb sich die Hände. Sie waren rau und voller Narben und Schnitte von seiner schweren Arbeit.
Der Musiker schöpfte zwei Gläser Wasser aus einem irdenen
Krug, der auf einem kleinen Tisch stand. Der Vaid ließ sich auf dem Diwan nieder, um zu erzählen, was er auf seinen Reisen erlebt hatte, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Daneben standen noch drei Rohrsessel, einer am Tisch nahe der Tür, die beiden anderen gegenüber. Kalus erster Gedanke war, sich neben den Vaid auf den Boden zu setzen, dann entschied er sich jedoch für den Sessel an der Tür. Die Sitzfläche war ziemlich hoch für einen so kleinen Jungen. Kalu setzte sich an den Rand und stützte sich mit den Zehen des einen Fußes am Boden ab, während er den anderen in der Luft baumeln ließ.
Der Musiker wandte sich Kalu zu und hob fragend eine Augenbraue. Wollte er ein Glas Wasser? Der Junge schüttelte heftig den Kopf. Der Guruji hielt inne, schaute Kalu direkt ins Gesicht und dann auf seine Füße. Ein Glas behielt er für sich und reichte seinem Bruder das andere.
»Ihr hattet also eine geruhsame Reise?«, fragte er schmunzelnd.
Der Vaid nahm das Glas entgegen. »Geruhsam? Erst ziehst du
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