Der Klang der Sehnsucht - Roman
nicht wahr, er war ein Teil des Hintergrunds wie die abblätternde, blaue Farbe der Wände und die zeitlosen Plakate der neuesten Filme, die bereits mit einer feinen Staubschicht überzogen waren.
Die drei ins Gespräch vertieften Männer erinnerten Kalu an die Lastwagenfahrer. Das Wechselspiel der Stimmen, die Art, wie einer mit einer Geschichte begann, die anderen das Thema aufgriffen, ergänzten und besprachen. Es war, als erlebe er die gleiche Szene nur an einem anderen Schauplatz und mit anderen Darstellern. An den Tee würde er sich gewöhnen. Er würde sich an alles gewöhnen, wenn er nur lernen durfte, Flöte zu spielen.
Ashwin bemerkte, dass der Junge dunkle Ringe unter den Augen hatte und seine Hände leicht zitterten, während er mühsam versuchte, sich aufrecht zu halten. »Komm, Kalu, später zeige ich dir das Haus, aber jetzt nimmst du erst mal ein Bad und ruhst dich aus, bevor wir zu Abend essen.«
Kalu wandte sich dem Vaid zu, der zustimmend lächelte.
»Also los, ab mit dir«, fügte sein Bruder hinzu. »Ashwin beißt nicht. Ich werde mich auch ausruhen. Es war ein langer Tag für uns beide.«
»Heute Abend rufen wir Ganga Ba an«, sagte der Vaid. »Ruh dich aus, mein Junge.«
*
Kalu achtete nicht darauf, wohin Ashwin ihn führte. Er war nur froh, dem Zimmer mit den Büchern zu entkommen. Sie gingen durch den Korridor in einen anderen Raum.
»Weißt du, dass dir etwas gelungen ist, was viele andere vergeblich versucht haben? Ich wette, am Anfang gab es ein ganz schönes Donnerwetter. Unser Guruji kann ziemlich schwierig sein.«
»Es war furchtbar. Ich glaube noch immer nicht, dass er mich hierhaben will.«
»He, Ram. Er kann nur seine Zunge nicht im Zaum halten. Mach dir deshalb keine Sorgen. Das ist halb so schlimm, wie es scheint. Er ist aufbrausend, aber du kannst ihn leicht zum Lachen bringen. So ist er eben, unser Guruji.« Ashwin wandte sich um und beugte sich hinunter zu Kalu. »Hör zu, mein Junge, du besitzt eine große Gabe. Andernfalls hätte Vaid Dada dich nicht hergebracht. Wenn du auf deine Fähigkeit vertraust, wird der Guruji einen echten Musiker aus dir machen, Kalu, ob er will oder nicht.«
Teil 2
Antara
Auf den Alap folgen Sthayi und Antara. Zuerst werden ein zentraler Ton und das Thema festgelegt, schließlich Rhythmus und Melodie eingeführt. In dieser Phase können die Schlaginstrumente einsetzen, und das Tempo steigert sich.
Die melodische Linie gelangt nun weiter in den Mittelpunkt. Zwei oder drei verschiedene, miteinander harmonisierende Melodien ergeben jeweils ein eigenes Lied und verbinden sich zugleich zu einem Ganzen, in dem sie einander immer wieder kreuzen und überschneiden.
Guruji
Kapitel 5
Kalu brauchte drei Tage, um das ganze Haus zu erkunden.
Am ersten Tag hielt er sich an Vaid Dada und folgte ihm ständig in einem gewissen Abstand. Diesen schien das nicht zu stören, er sah nur hin und wieder lächelnd zu dem Jungen hinüber und ließ ihn gewähren. Kalu behielt auch den Guruji im Auge, der ihn jedoch kaum beachtete. Erst allmählich dämmerte es Kalu, dass er sich verpflichtet hatte, der Schüler dieses Mannes zu werden, ohne überhaupt zu wissen, wie er unterrichtete, ja, ohne ihn spielen gehört zu haben. Er lauschte dem singenden Tonfall seiner Stimme, angezogen von den wogenden Energieströmen, die dieser Mann mit seiner Mimik und Gestik ausstrahlte. Anders als sein Bruder schien der Guruji nie völlig still. Es war, als könne er seine innere Kraft nicht bändigen.
Am zweiten Tag wartete Kalu, bis alle beschäftigt waren, ehe er seine Entdeckungsreise fortsetzte. Er wagte immer nur wenige Schritte, stets bereit, sich wenn nötig wieder in seine Ecke zurückzuziehen. Doch der Guruji und der Vaid führten ihre Gespräche fort, als wäre der Junge nicht anwesend. Also bewegte Kalu sich unauffällig auf die Tür zu und durchstreifte dann langsam das Haus, während er im Hintergrund die beiden Männer reden und Ashwin in der Küche mit den Töpfen klappern hörte.
Es gab also drei Schlafzimmer. Seins, das, in dem der Vaid schlief, und ein weiteres für den Guruji. Ashwin hatte seinen Anbau, hinter der Küche. Alle Haupträume grenzten an die Veranda. In der Mitte des Hauses befand sich ein offener Bereich, in dem Musik gemacht wurde.
Kalu beschloss, sich als erstes das Zimmer des Guruji vorzunehmen, das seine größte Neugier erregte. Die geöffnete Tür schien ihn einzuladen, es zu betreten. Er schaute sich um und steckte den Zettel
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