Der Klang der Zeit
jede Woche einen Titel aus ihrer Plattensammlung aus, den ich für sie lernte. Nach dem Abendessen setzte ich mich an das Wurlit-zer-Klavier, stimmte uns mit ein paar Arpeggien ein, dann kam das Vorspiel. Sie musste die Melodie erraten haben, bis der Auftakt der ersten Strophe kam. Und sie verpasste nie ihren Einsatz, sang mit strahlender Miene, als hätte ich gerade ein Geschenk hervorgezaubert, das sie nun auspacken durfte. Einmal, im April 1975, war ein Song an der Reihe, den ich bis zu jenem Nachmittag noch nie gehört hatte, »There's a Rainbow Round My Shoulder«. Teresa sang die ersten Zeilen:
Hallelujah, how the folks will stare,
When they see the diamond solitaire,
That my little sugar baby is gonna wear !
Yes, sir!
Gott, die Leute werden gaffen, zeigt mein Schatz die Finger her, werden staunen wie die Affen, sehen sie den Solitär.
Sie brach ab, halb lachend, halb weinend. Sie kam, legte mir die Arme um die Schultern, und ein paar Takte lang konnte ich, gefesselt wie ich war, nur noch über fünf Noten improvisieren. »Ach Joe, Liebster. Wir müssen es einfach tun. Wir müssen es legal machen!«
Ich sah sie an und sagte wie ein Windhund aus den Dreißigern: »Alles was du willst, Süße. Schluss mit dem Lotterleben.« Die Worte machten sie so glücklich, als stünden wir schon vor dem Altar. Die bloße Absicht schien genug.
Zwei Wochen später, als ich wieder in den Platten nach einer Shownummer suchte, fiel mir ein Stück buntes Papier auf, das aus einem Stoß Bücher auf ihrem Schreibtisch hervorlugte. Die Farbe machte mich neugierig, und als ich es herauszog, sah ich, dass es eine selbst gebastelte Einladung zur Hochzeit war. Quer über die Mitte wölbte sich ein großer Regenbogen. Oben stand in ihrer runden Handschrift: »There's a rainbow round my shoulder.« Im Inneren des Bogens: »And it fits me like a glove. «Ich passe schnuckelig hinein. Darunter hatte Teresa auf drei Bleistiftlinien geschrieben: »UHRZEIT«, »DATUM«, »ORT«, alle drei vertrauensvoll offen gelassen, bis die Einzelheiten mit mir geklärt waren. Dann folgte: »Kommt und helft uns feiern! Wir schließen den Bund fürs Leben – Teresa Maria Elisabeth Clara Wierzbicki und Joseph Strom.« Und am unteren Blattrand stand, nun schon krakeliger: »Hallelujah, we're in love!«
Die Klinge drang mir in die Brust bis zum Heft. Sie wollte eine große Feier, sie wollte es öffentlich machen. Einen verstohlenen Besuch beim Friedensrichter hätte ich vielleicht noch fertig gebracht, unter der Be-dingung, dass nie jemand etwas davon erfuhr. Aber eine Feier mit Hochzeitsgästen: unmöglich. Was glaubte sie denn, an wen wir diese Einladung schicken konnten ? Meine Familie war tot, ihre hatte sie verstoßen. Wir hatten keine gemeinsamen Freunde, niemanden, der auf eine solche Party gekommen wäre. Ich malte es mir aus, wie wir den Mittelgang einer kuriosen Kirche hinuntergehen würden, teils katholisch, teils methodistisch, teils Synagoge, ihre polnischen Arbeitskolleginnen auf der einen Seite, meine Black Panthers auf der anderen, und beide Fraktionen würden sich misstrauisch beäugen. Wir zwei in einem Raum voller Leute, wie wir eine dreistufige Hochzeitstorte anschnitten. Hallelujah, how the folks would stare.
Ich steckte das unvollendete Muster wieder zwischen ihre Bücher, genau wie ich es gefunden hatte. Aber sie merkte es doch. Sie spürte es an meinem Umgangston, zu gut gelaunt, zu liebevoll. Immer wartete ich auf den Tag, an dem sie mir das fertige Werk präsentierte. Hier: Das habe ich für dich gemacht. Aber der Tag kam nie. Teresas selbst gebastelter Lob-gesang verschwand von ihrem Schreibtisch, abgelegt in der Schachtel für unerfüllte Träume, die sie für niemanden öffnete.
Ich gab die Heuchelei des Komponierens auf. Ich packte meine Kritzeleien in einen Karton und verbannte ihn in die hinterste Ecke.
Nicht lange danach meldete sich Jonah wieder. Er war nie bis nach Skandinavien gekommen. »Hallo, Bruderherz«, begann der Brief. »Hier gibt's große Neuigkeiten. Ich habe meine Berufung gefunden.« Als wären die Auftritte mit dem London Symphony Orchestra und dem Orchestre Philharmonique de Radio-France ein Irrweg gewesen.
Es geschah in
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