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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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kommen lassen. Er fällt nicht herein auf diese hinterwäldlerischen Drohgebärden, diese beiden Verrückten mit ihrem Schmierentheater, die ihre Nummer im einzigen Licht abziehen, bei dem man ihnen ihre Rolle abnimmt. Sie können ihm nichts anhaben. Er ist vierzehn; er ist unsterblich.
    Die beiden Weißen führen Emmett ab, den Arm hinter den Rücken gedreht, marschieren mit ihm davon durch das nächtliche Gras. Er versucht sich aufzurichten, gerade zu gehen. Der mit dem verkniffenen Gesicht rammt ihm das Knie in die Leiste, und der Junge krümmt sich. Er schreit auf, und der Verkniffene schlägt dem Jungen sein Gewehr über den Schädel. Die Haut über Emmetts Auge platzt auf, eine klaffende Wunde. Sie binden ihn zusammen wie ein Kalb und werfen ihn auf die Pritsche ihres Pick-up. Der Verkniffene fährt, der Glatzkopf sitzt hinten und drückt dem Jungen den Stiefel ins Gesicht.
    Stundenlang fahren sie ihn über die schlaglochübersäten Straßen, un-ablässig schlägt er mit dem Kopf auf die metallene Ladefläche. Der Junge muss ja erst einmal einsehen, wie ungeheuerlich sein Verbrechen ist, bevor er anständig bestraft werden kann. Sie halten an und ziehen ihm mit der Pistole eins über, prügeln ihn von den Beinen bis hinauf zu den Schultern, damit der Gerechtigkeit Genüge getan ist.
    Was hast du denn geglaubt, mit wem du da sprichst? Die entscheidende Frage. Die ganze Nacht hindurch, während der Junge sich in einen stöhnenden Klumpen Blut verwandelte, haben sie sich Mut dafür gemacht. Hast du keine Augen im Kopf? Hast du vielleicht gedacht, das ist eine schwarze Schlampe da in dem Laden ? Die Augen des Verkniffenen, schlaffe Schildkrötenlider, erwachen zum Leben. Das ist meine Frau, Niggerjunge. Meine Frau. Keine billige schwarze Hure.
    Er genießt jedes Wort – Schlampe, Hure, Nigger, weiß, Frau –, und jeden neuen Satz der Lektion untermalt er mit einem Schlag des Gewehrkolbens. Er arbeitet unermüdlich, und trotzdem verschwindet der Makel der Untreue nicht. Er zieht den Jungen aus, schlägt ihn vor die nackte Brust, auf Schultern, Füße, Beine, Geschlecht. Jedes Stück dieses Fleisches, das sich gegen die Regeln aufzulehnen wagte, muss seine Überlegenheit spüren.
    Wir haben nie Ärger mit unseren Niggern gehabt, bevor du Unruhestifter aus Chicago hier aufgetaucht bist und sie aufgehetzt hast. Kennst du denn über-haupt keine Regeln? Hat dir nie jemand beigebracht, was man tut und was nicht?
    Der Junge antwortet schon lange nicht mehr. Aber selbst das Schweigen empfinden sie als Trotz. Die beiden Männer – der Ehemann der befleckten Frau und sein Halbbruder – nehmen sich seinen nackten Leib vor: auf der Lastwagenpritsche, vor der Lastwagenpritsche, Schläge, Frage, Schläge, geduldige Lehrer, die nur ein wenig spät mit ihrer Unterrichtsstunde dran sind.
    Bereust du, was du getan hast, Junge? Nichts. Wirst du je in deinem Leben noch einmal eine solche Dummheit machen ? Weiterhin nichts. Sie suchen nach Zeichen des Nachgebens in seinem Gesicht. Aber inzwischen ist von dem klugen, schelmischen Oval des Weihnachtsfotos nicht mehr viel übrig. Das Schweigen des Jungen treibt die Weißen in jene Ruhe, die jenseits der Tobsucht liegt. Sie drücken ihm den Lauf in die Ohren, den Mund, die Augen.
    Später erzählen sie es, in allen Einzelheiten, der Zeitschrift Look, verkaufen ihre Beichte für ein paar Dollar. Sie wollten ihn nur einschüchtern. Aber die Sturheit des Jungen, der nicht bereit ist, seine Fehler einzusehen, lässt ihnen keine andere Wahl. Sie werfen ihn wieder auf den Wagen und fahren hinaus zu Milams Farm. Sie suchen im Schuppen und kommen mit der großen Spindel einer Baumwollentkörnungsmaschine hervor. Bryant, der Ehemann mit dem verkniffenen Gesicht, will sie in den Lastwagen wuchten. Sein Halbbruder Milam hält ihn auf.
    Roy, was zum Teufel machst du denn da?
    Roy Bryant blickt zu Boden und lacht. Da hast du Recht, wie Blöd von mir. Kommt davon, wenn man sich die Nacht um die Ohren schlägt.
    Sie zwingen den Jungen, sie aufzuladen. Bobo, der kaum mehr als die Spindel wiegt. Emmett, den die Weißen schon fast bewusstlos geschla-gen haben. Er strauchelt unter dem ungeheuren Gewicht des Stahls, aber es gelingt ihm, ihn ohne Unterstützung in den Wagen zu wuchten.
    Du weißt, womit du das verdient hast, nicht wahr, Junge?
    Noch immer kann der Junge nicht glauben, was geschieht. Das Drama ist zu grob, die Spindel zu theatralisch. Nur seine Phantasie wollen sie foltern, seinen Widerstand

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