Der Klang des Herzens
na ja – das ist euch doch angeboren, oder?«
Asad ließ sich dies durch den Kopf gehen. »Das muss dann wohl der Grund dafür sein, dass ich an Tagen wie diesen kaum an mich halten kann.«
In diesem Moment ertönte die Türglocke, und Deirdre Linnet wandte sich mit sichtlicher Erleichterung um.
Eine bekannte Stimme befahl den Hunden, brav draußen zu bleiben, dann betrat Byron Firth den Laden und schüttelte sein Haar, dass die Tropfen nur so flogen. »Guten Tag, Byron«, sagte Asad lächelnd.
»Ich bräuchte eine Karte.«
»Für jemand bestimmten?«
»Für Lily«, antwortete er leise. »Meine Nichte. Sie hat Geburtstag.«
Der Laden wirkte auf einmal viel beengter, obwohl Byron nicht so groß war wie Asad und sich alle Mühe zu geben schien, sich möglichst klein zu machen, ja unsichtbar zu werden. Vielleicht arbeitet er ja deshalb im Wald, dachte Asad, hinter Bäumen versteckt.
»Tag, Mr Firth«, sagte Henry, der soeben mit einem Teetablett aus dem Hinterzimmer auftauchte und Byrons tropfende Regenhaut und die schlammigen Stiefel kritisch musterte. »Wie ich sehe, haben Sie mit der Natur kommuniziert. Und die Natur ist, heute zumindest, siegreich geblieben.«
»Wo sind eigentlich die handgefertigten Karten, Henry?« Asad blickte sich suchend um. »Wir haben doch noch welche, oder?«
»Die, wo’s Alter draufsteht, führen wir nicht mehr«, erklärte Henry. »Die Vierziger und Fünfziger waren immer sofort weg, und zurück blieben jede Menge Elfer.«
»Ah, da.« Asad hielt eine rosarote, mit Strasssteinchen beklebte Karte hoch. »Eine Frau vom anderen Ende des Dorfs hat die für uns gemacht. Diese ist die letzte, und der Umschlag ist ein bisschen verknickt. Ich gebe Ihnen fünfzig Pence Preisnachlass, wenn Sie möchten.«
»Danke.« Byron gab ihm das Geld und wartete, bis Asad die Karte in eine kleine braune Papiertüte gesteckt hatte. Dann nickte er den beiden Ladeninhabern zu, schob die Karte in die Innentasche seiner Jacke und verschwand. Durchs beschlagene Schaufenster konnte man verschwommen erkennen, wie seine Hunde aufsprangen und ihr Herrchen freudig begrüßten, der ihnen gutmütig die Köpfe rieb.
Mrs Linnet hatte sich derweil mit ungewöhnlicher Hingabe dem Studium diverser Etiketten gewidmet. »Ist dieser Mensch wieder weg?«, fragte sie überflüssigerweise.
»Mr Firth hat das Gebäude verlassen, ja«, antwortete Henry.
»Also wenn ich Sie wäre, ich würde den nicht bedienen. Bei der Sorte krieg ich’ne Gänsehaut.«
»Hättest du wohl gern«, murmelte Henry.
»Was hat Mr Firths ferne Vergangenheit damit zu tun, ob wir ihm eine Geburtstagskarte für seine kleine Nichte verkaufen dürfen oder nicht?«, fragte Asad. »Zu uns war er immer nett, wenn auch wortkarg. Ihnen als gutem Christenmenschen, Mrs Linnet, sollten Begriffe wie Vergebung und Verzeihung doch bekannt sein.«
»Der ist doch nur die Spitze des Käseecks, wenn Sie mich fragen«, entgegnete sie uneinsichtig und tippte sich verschwörerisch an die Nase. »Der Mann wirkt doch wie ein Magnet auf alle möglichen Verbrecher. Als Nächstes werden uns die Pädiatristen heimsuchen, das können Sie mir glauben.«
Henry riss mit gespieltem Entsetzen die Augen auf. »Gott bewahre!«
Abermals bimmelte die Türglocke, und ein Mädchen trat ein, ein Teenager, nicht älter als fünfzehn, sechzehn. Sie war nass, hatte aber weder eine Jacke an noch einen Schirm dabei. Sie wirkte irgendwie zerknittert, als habe sie eine lange Fahrt hinter sich.
»Entschuldigen Sie, dass ich störe«, sagte sie und wischte
sich die Haare aus dem Gesicht, »aber wissen Sie vielleicht, wo ich …« Sie warf einen Blick auf einen Zettel, den sie dabeihatte. »… das Spanische Haus finde?«
Stille.
»Doch, das wissen wir«, sagte Mrs Linnet dann. »Es ist gar nicht weit weg.« Die schwere Prüfung von vorhin schien sie vollkommen vergessen zu haben. »Dürfte ich fragen, wen du dort suchst?«
Das Mädchen machte eine verständnislose Miene.
»Der alte Pottisworth ist nämlich vor Kurzem gestorben«, erklärte Mrs Linnet, »und jetzt wohnt dort niemand mehr. Falls du zur Beerdigung wolltest, bist du zu spät.«
»Ach, nein, das weiß ich«, sagte das Mädchen. »Wir ziehen dort ein.«
»Wo?« Henry tauchte in der Hintertür auf.
»Ins Spanische Haus. Diese junge Dame zieht ins Spanische Haus.« Mrs Linnet platzte fast vor Freude über diese aufregenden Neuigkeiten. Sie bot dem Mädchen ihre Hand. »Nun, in diesem Fall sind wir beinahe Nachbarn,
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