Der Klang des Herzens
verdeckt von Hecken und Bäumen spiegelte es sich im Wasser. Wie oft hatte sie hier gesessen und geträumt, hatte sich vorgestellt, wie sie Arm in Arm mit ihrem Mann die Steinstufen zum See hinunterging. Die Partys, die sie auf dem Rasen veranstalten, die eleganten Vorhänge, die sie in die hohen Fenster hängen würde. In letzter Zeit jedoch hatte sie es kaum über sich gebracht, diesen Teil des Waldes zu betreten, das Haus zu sehen, ohne voller Neid und Frustration mit sich zu hadern, dass es ihr trotz allem durch die Lappen gegangen war.
Heute jedoch war das alles zum ersten Mal unwichtig. Das Haus war weder ein Objekt der Begierde noch der Frustration, sondern nur ein großes, schäbiges altes Haus, das da auf der anderen Seite des Sees zu sehen war.
Eine kurze Stille trat ein, unterbrochen von ein paar Enten, die sich im Schilf zankten. Nicholas kraulte den Hund hinter den Ohren. Sie musste daran denken, was sie diesem Mann letztes Mal alles erzählt hatte. Es stimmte: Es war leichter, sich einem Fremden anzuvertrauen.
»Sie … sehen hübsch aus«, bemerkte er.
Sie hob unbewusst die Hand ans Haar. »Jedenfalls besser als letztes Mal.«
»Auch letztes Mal haben Sie wundervoll ausgesehen«, widersprach er und erhob sich. »Möchten Sie vielleicht eine Tasse Kaffee? Ich wollte mir gerade einen holen. Ich habe eine Thermoskanne dabei. Und … eine zweite Tasse.«
Beide mussten lachen.
Laura ließ sich auf dem Baumstumpf nieder. »Ja, gerne.«
Sie wisse nicht, wer es sei, vertraute sie ihm kurz darauf an. Sie wisse genau, dass ihr Mann mit einer anderen schlief, aber nicht, mit wem. »Das macht einem das Leben im Dorf fast unmöglich.« Sie mied geflissentlich seinen Blick, denn sie wusste, dass sie nur weiterreden konnte, wenn sie so tat, als wäre er nicht da. »Wo ich auch hingehe, ständig frage ich mich: Könnte es die sein? Oder die? Die junge Verkäuferin im Supermarkt. Oder die Frau in dem Stoffladen. Die Kellnerin in dem Restaurant, in das wir ab und zu gehen. Er wirkt attraktiv auf Frauen. Das war schon immer so.«
Nicholas sagte nichts, saß still neben ihr und hörte zu.
»Ich kann mit niemandem darüber reden. Nicht mit meinen Freunden, nicht mit den Nachbarn – ich weiß zumindest von einer, mit der er geschlafen hat, obwohl sie das nie zugeben würde. Und ihn brauche ich gar nicht erst zu fragen. Er kann einem weismachen, dass Schwarz Weiß ist und umgekehrt, und man würde es ihm abkaufen. Ich hab’s oft genug erlebt. Selbst jetzt will er partout nichts zugeben. Im Gegenteil, er gibt mir das Gefühl, mich idiotisch zu verhalten, weil ich ihn verdächtige.«
Nun wandte er sich zu ihr, musterte ihr Gesicht. Sie wusste, was er denken musste, obwohl es seine Miene nicht verriet. Wie kann man nur so blöd sein .
»Beim letzten Mal ist ihm nichts anderes übrig geblieben, als es zuzugeben. Er hat eine SMS an mich geschickt statt an sie. Muss wohl durcheinandergekommen sein. »Wir treffen uns im Taylor’s Arms«, hat er geschrieben. »Ich hab noch zwei Stunden Ausgang.« Ausgang . Das hab ich nie vergessen. Als ob ich so eine Art Gefängniswärter wäre.«
»Was haben Sie gemacht?«
Sie stieß ein humorloses Lachen aus. »Ich bin zu dem Pub gefahren. Als er mich sah, ist er kreidebleich geworden.«
Nicholas lächelte mitfühlend.
Laura zupfte an einer Manschette herum. »Er hat alles zugegeben und gesagt, wie leid es ihm täte. Wir haben damals versucht, ein Baby zu bekommen. Ich dachte, es würde uns einander näherbringen. Aber er sagte, er hat sich unter Druck gefühlt und deshalb … dieses junge Ding . Das war vor drei Jahren.«
»Und jetzt?«
»Ich weiß nicht. Ich unterhalte mich mit den Verkäuferinnen und mit der Friseurin, mit meinen Freundinnen und Nachbarinnen und … ich hab keine Ahnung, welche von ihnen mit meinem Mann schläft.« Den Tränen nahe rang sie um Fassung. »Das ist das Schwerste, wissen Sie. Dass sie mir ins Gesicht schauen, mit mir reden und mich dabei heimlich auslachen. Eins von diesen hübschen jungen Dingern, mit ihren straffen Körpern und der makellosen Haut. Das ist es, was mir nicht aus dem Kopf will. Er mit so einer. Wie sie sich über mich lustig machen.« Sie biss die Zähne zusammen.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte sie nach kurzem Schweigen. »Sie wollten ja bloß eine Tasse Kaffee und die Aussicht genießen. Und ich gehe Ihnen mit meinen Eheproblemen auf die Nerven. Bitte verzeihen Sie.«
Sei jetzt bloß nicht nett, dachte sie, sonst
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