Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
ihr einfach zusehen könnte.
Jetzt blieb ihm nur, die Klaviere zu warten, das noch defekte Instrument in Ordnung zu bringen und sich anschließend auf die Heimreise zu begeben, während Norah und Adam – und vielleicht auch Dylan – eine Schiffsreise auf der Titanic nach New York antreten würden. Richard empfand große Erleichterung darüber, dass Norah auf der Jungfernfahrt des Liners vor jeglicher Gefahr sicher sein würde.
Kapitel 27
Richard beobachtete, wie der Steward seinen Koffer in die Zweibettkabine trug, die er allerdings alleine bewohnen würde. Immerhin war die Titanic nur zu etwa 55 % gebucht worden und es gab genug Platz. Er steckte dem Mann ein kleines Trinkgeld zu, zog den geblümten Vorhang vor dem zweiten Bett, das ihm als Couch dienen würde, zurück und ließ sich schwer darauffallen.
Nun war er also doch an Bord. Der junge Mann wusste nicht, ob er sich darüber freuen oder ärgern sollte. Der Grund für die vollkommen unerwartete Änderung seiner Pläne waren die noch immer fehlenden Ersatzteile für das Klavier. Erst vor einer Stunde hatte ihn auf seine Nachfrage in Freiburg und die Nachforschungen Herrn Weltes hin eine Nachricht aus Belfast erreicht, die besagte, dass die Lieferung versehentlich doch dorthin statt nach Southampton geschickt worden war. Daraufhin hatte die Firma Welte ihm eine Zweite-Klasse-Kabine bis Queenstown in Irland verschafft und die Ersatzteile ebenfalls dorthin beordert.
Bei seinem Abschied von Norah am vergangenen Tag, noch bevor er gewusst hatte, dass er bis Queenstown an Bord sein würde, hatte er halb ärgerlich, halb scherzhaft erwähnt, dass, sollten die Ersatzteile nicht in den nächsten Stunden eintreffen, das Klavier unfertig auf die Reise gehen würde. Sie könne es sich dann immer wieder ansehen und dabei an ihn denken, denn immerhin würde er sich ohne sie an seiner Seite ebenso unvollkommen fühlen, wie das nutzlose Instrument es war.
Richard würde beim morgigen Aufenthalt in Queenstown nicht viel Zeit bleiben, die pneumatische Einrichtung einzubauen, bevor die Titanic auf ihre große Reise ging, doch er würde sein Bestes versuchen. Da er nur diese eine Nacht an Bord blieb, räumte er lediglich das Nötigste aus seinem Koffer und machte sich dann auf die Suche nach einem Weg auf das Bootsdeck.
Gerade als er den für die zweite Klasse reservierten Bereich betrat, ertönte die Schiffspfeife. Ihr Pfiff war die Aufforderung für all diejenigen, die nicht mitfahren würden, das Schiff zu verlassen.
Richard drängte sich so behutsam wie möglich an unzähligen Passagieren vorbei. Sie alle versammelten sich an der Reling und suchten auf dem Kai zwischen den Lastwagen, Transportkarren und Privatfahrzeugen ihre Lieben, die vom Hafen aus dem Auslaufen des Schiffes zusehen wollten. Ganz am Ende des Bootsdecks fand Richard schließlich noch einen freien Platz. Über ihnen am grauen, wolkenverhangenen Himmel kreisten die Möwen und warteten laute Schreie ausstoßend darauf, den großen Liner ein Stück weit begleiten zu dürfen.
Plötzlich bemerkte Richard hektische Bewegungen zwischen den Fahrzeugen und den Zuschauern auf dem Pier. Aufmerksam beobachtete er das dort entstehende Gedränge. Jemand wühlte sich rücksichtslos durch die Menschenmenge, die Richard in Anbetracht des Anlasses erstaunlich klein vorkam. Immerhin verließ in wenigen Minuten das modernste, luxuriöseste und größte Schiff der Welt das erste Mal offiziell einen Hafen!
Aus der schwindelerregenden Höhe des Decks konnte Richard den Protest der Leute zwar nicht hören, die von der Person, die es sichtlich eilig hatte, unsanft beiseitegeschoben wurden, doch ahnte er ihn. Er sah einen großen, muskulösen Mann mit einem Seesack über der Schulter, der sich darum bemühte, noch an Bord zu gelangen.
Als der Läufer den Kopf hob und einem Matrosen oberhalb der Landungsbrücke etwas zurief, erkannte Richard in ihm Dylan. Mit schnellen Schritten jagte er erstaunlich behände über die flachen Stufen hinauf und verschwand aus Richards Blickwinkel.
Richard schüttelte amüsiert den Kopf und drehte sich um, um in seine Kabine zurückzukehren, wobei er sich unerwartet Norah gegenübersah.
„Was machst du denn noch hier?“, stieß sie überrascht aus.
„Ich bin ein blinder Passagier“, erwiderte er vergnügt.
„Interessant“, sagte sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das wieder ihre bezaubernden Grübchen zum Vorschein brachte, die er so an ihr liebte. „Und da spazierst du hier
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