Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
Helena habe sie bei Ryan absichtlich ins offene Messer laufen lassen, am Ende recht! „Darf ich aber noch meinen Dank vorbringen, Miss Andrews? Die kleine Katie ist wieder bei ihrer Mutter.“
„Schön.“
„Dann werden Chloe und ich jetzt besser gehen, Miss Andrews.“
„Bitte.“ Die junge Frau schloss eigenhändig die Tür.
Chloe und Norah huschten eilig die Stufen hinunter, und als sie in den freundlichen, bunt blühenden Garten traten, atmete Norah erleichtert auf.
„Übrigens, Miss Casey“, hörte sie da die Stimme von Helena hinter sich.
Ruckartig blieb Norah stehen und drehte sich zu der wieder geöffneten Tür um.
„Mr Martin ließ mir vor ein paar Tagen ein Telegramm von der Titanic übermitteln. Er ist versehentlich an Bord geblieben.“
Aus dem Augenwinkel sah Norah, wie Chloes Blick sich verdüsterte. Auch sie spürte einen kleinen, unangenehmen Stich in ihrem Herzen, doch sie unterdrückte jede weitere Gefühlsregung und erwiderte schnell: „Danke für die Auskunft, Miss Andrews. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“
Sie hatten noch nicht einmal den Hauptweg zum Tor erreicht, als Chloe nach Norahs Unterarm griff und diesen wie einen Schraubstock umklammert hielt. „Was sollte das? Was denkt sich Rick, dieser Person zu telegrafieren?“
Als Norah leise kicherte, ließ Chloe sie los und stemmte entrüstet ihre Hände in die breiten Hüften.
„Bitte reg dich nicht auf“, beschwichtigte Norah und öffnete das Tor. „Richard musste seine neueste Heldentat doch jemandem melden. Vermutlich war das Telegramm an Thomas Andrews gerichtet, als die einzige Kontaktperson, die ihn und seinen Auftrag kannte und in erreichbarer Nähe des Telegrafen war. Dass Andrews stellvertretend für den erkrankten Lord an Bord der Titanic ist, konnte er ja nicht ahnen. Er wird Mr Andrews telegrafisch gebeten haben, meine Verwandten in Freiburg über seinen Verbleib zu informieren. Immerhin haben sie Richard in diesen Tagen zurückerwartet.“
„Also, dafür, dass er eigentlich immer so korrekt und ordentlich ist, ist er ein ziemlicher Wirrkopf. Geht der doch einfach nicht rechtzeitig von diesem Schiff herunter!“
„Ja, aber ein lieber Wirrkopf“, pflichtete Norah bei, und in ihrer Stimme schwang all die Zuneigung mit, die sie dem jungen Mann entgegenbrachte.
„Ganz bestimmt!“
Norah schloss das Tor hinter ihrer Freundin und fragend sahen die beiden sich an. „Du und ich, wir verstecken uns jetzt erst einmal“, flüsterte Chloe, ganz offensichtlich erleichtert, dass sie diesen Gang hinter sich gebracht hatten.
„Ich nicht. Ich hole Catherine. Sie muss ohnehin erst später zur Arbeit, und Eve, die hat gerade gar keine Arbeit. Und anschließend suchen wir Danny auf. Ich muss wissen, ob sein Artikel heute schon in der Zeitung erschienen ist. Außerdem wollte er ganz dreist Ryan um ein Gespräch bitten. Vielleicht weiß er, ob der schon kalte Füße bekommen und die Flucht ergriffen hat. Dann habe ich von ihm nichts mehr zu befürchten. Außerdem soll Danny herausfinden, wie es sich mit den beiden ermordeten Männern verhält. Vielleicht wirst du gar nicht mit ihnen in Zusammenhang gebracht.“
Zu Norahs Verwunderung nickte Chloe zustimmend. Sie hatte eigentlich Protest erwartet, denn bisher war ihre Freundin auffällig darum bemüht gewesen, dem Journalisten aus dem Weg zu gehen. Norah schmunzelte verstohlen vor sich hin. Vielleicht hatte der Einsatz, den Danny in der vergangenen Nacht gezeigt hatte, Chloes Einstellung zurechtgerückt. Ihr abweisendes Verhalten hatte vermutlich nicht nur Norah verwundert, immerhin war Chloe im Viertel als eine überaus warmherzige, ja leidenschaftliche Person bekannt.
„Das heißt, du willst hier einfach munter weiter durch die Stadt marschieren?“ Chloe sah sie zweifelnd an.
Norah griff nach ihrer Hand und zog sie einfach mit, die Straße hinunter.
„Und was ist jetzt mit der schönen Helena?“, fragte die hinter ihr herstolpernde Chloe.
„Die Frau ist zwar sehr launisch, und vielleicht hatte Beckett die Anweisung, sein Hauptaugenmerk auf Katie zu legen. Ich denke aber nicht, dass sie das zu einer wirklichen Gefahr für mich macht.“
„Hauptaugenmerk? Er hat dich im Stich gelassen! Vielleicht ist er bösartig oder er hatte den Auftrag …“, begehrte ihre Freundin auf, wurde von Norah aber unterbrochen.
„Beckett? Ich weiß nicht. Er hat seinen Auftrag erfüllt. Einen neuen wird er nicht haben, und so lange bin ich sicher – falls Miss Andrews
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