Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
wieder getrocknet war.
Ob sie betete? Jedenfalls machte ihre ganze Haltung diesen Eindruck auf Richard. Also schwieg er und konzentrierte sich auf das Fahren.
Dementsprechend heftig zuckte er zusammen, als sie plötzlich mit dem gewohnten Schwung in der Stimme sagte: „Halten Sie doch bitte mal an, Richard.“
Gehorsam fuhr er an den Straßenrand und stoppte das Fahrzeug zwischen zwei Pappeln, um sich ihr dann interessiert zuzuwenden.
„Ist es schwer, so ein Automobil zu lenken?“, fragte sie.
Er konnte seine Überraschung über diese Frage kaum verhehlen. „Ich finde nicht.“
„Fein, dann möchte ich es gern einmal ausprobieren“, erwiderte sie, während sie bereits tatendurstig die Tür öffnete und den Wagen verließ.
Richard beobachtete, wie sie vorne um das Automobil herumging und schließlich abwartend auf seiner Seite stehen blieb.
„Ach, kommen Sie!“, bettelte sie, als er zögerte. „Hier ist nicht einmal ein Fußgänger unterwegs und die Straße ist ganz gerade. Was soll schon passieren?“
„Tut mir leid, Norah. Aber ich habe das Automobil von Herrn Welte für Ihre Ausflüge zur Verfügung gestellt bekommen. Ich habe ihm versprochen, es pfleglich zu behandeln.“
„Er wird nie etwas davon erfahren, Richard. Ich wollte schon immer mal ein Automobil fahren. Bitte!“, flehte sie und legte ihre schmalen, aber kräftigen Hände auf die Oberkante der Fahrertür.
„Ich weiß nicht …“
„Bitte!“
Richard wollte erneut ablehnen. Immerhin trug er die Verantwortung, sowohl für das Gefährt als auch für die junge Dame. Andererseits erinnerte er sich nur zu gut an ihre Worte in der Schlucht. Ob er nicht wirklich einmal ein wenig mehr Mut zum Risiko zeigen sollte?
„Also gut“, gab er schließlich nach und wollte seine Tür öffnen – konnte dies jedoch nur einen schmalen Spalt weit, denn Norah stand immer noch direkt davor.
Große, rehbraune Augen starrten ihn ungläubig an. Ihre Verwunderung amüsierte ihn. Ihm war es doch tatsächlich gelungen, Norah zu überraschen! „Wenn Sie nicht zur Seite gehen, kann ich nicht aussteigen. Oder haben Sie es sich anders überlegt?“
„Nein … oh, nein!“, erwiderte Norah aufgeregt.
Sie ließ ihn aussteigen und setzte sich daraufhin selbst hinter das Lenkrad. Da sie für eine Frau recht groß gewachsen war, erreichte sie mühelos mit den Füßen die Pedale. Aufmerksam ließ sie sich von Richard ihre Funktionen erklären und wartete ungeduldig, bis er auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.
Der Horch vollführte einen unkontrollierten Satz nach vorn, und Norahs erste Autofahrt begann so rasant, wie man es von ihr erwarten konnte.
„Langsam!“, rief Richard erschrocken und griff ins Steuer, da Norah viel zu weit auf die linke Seite hinübergeriet.
Norah bemühte sich, seinen Anweisungen Folge zu leisten, und schließlich rollten sie langsam und manierlich über die Landstraße. „Ist das herrlich!“, jubelte sie und warf ihm einen triumphierenden Blick zu.
„Schauen Sie auf die Straße“, ermahnte er sie prompt. Die Sorge darüber, dass das wertvolle Automobil Schaden nehmen und dies später auf ihn zurückfallen könnte, ließ ihn noch immer nicht vollständig los.
„Ist ja schon gut“, gab sie frech grinsend zurück.
Richard betrachtete die junge Irin erstaunt. Ihre nachdenkliche, beinahe trübsinnige Stimmung von zuvor schien mit dem Fahrtwind nun komplett davongeweht zu sein.
Wenige Augenblicke später näherte sich ihnen von vorn ein anderes Fahrzeug, und die junge Frau lenkte das Automobil bereits nach Richards zweiter Bitte an den Straßenrand, damit er wieder das Steuer übernehmen konnte.
Während er hinten um das Automobil herumging, nahm sie, leicht humpelnd, den Weg vorne herum.
„Sie haben Schmerzen“, stellte er bekümmert fest.
„Und Sie schon wieder die Sorge, das könne auf Sie zurückfallen.“
„Nein, erstaunlicherweise nicht.“
„Das ist wirklich erstaunlich. Vielleicht sollte ich noch zwei Wochen bleiben.“
Norah erwartete offenbar keine Antwort von ihm. Stattdessen winkte sie den beiden kleinen Mädchen auf dem Rücksitz des passierenden Fahrzeuges mit beiden Händen fröhlich zu.
Als sie kurz darauf den Bahnhof in Stühlinger passierten, beugte Norah sich zu Richard hinüber und flüsterte: „Ich werde Tante Frieda erzählen müssen, wie ich ihre Schuhe verloren habe. Aber die Sache mit meinem Knöchel kann ich bestimmt verheimlichen. Also keine Angst.“
Richard schwieg, zumal er
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