Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
Stunden dauern!“, knurrte er.
„Was ist so wichtig an diesem Kerl?“, fragte Callum, dem es inzwischen ungemütlich kalt war.
„Das wissen wir eben nicht“, fauchte Connor ihn wütend an. „Norah taucht hier plötzlich mit einem Fremden auf. Wir müssen wissen, wer er ist. Ob er Einfluss besitzt. Oder Geld. Oder beides.“
„Ich finde, danach sieht er nicht gerade aus.“
„Das kann täuschen. Er wird ja wohl kaum im Frack und mit goldener Uhrkette hier auftauchen. Das wäre viel zu auffällig.“
„ Ich habe ihn gesehen, nicht du. Und ich finde, er macht nicht den Eindruck, als sei er reich.“
„Ging er sehr aufrecht? Du weißt schon, so steif, wie die Reichen das tun?“
„Ja, das schon.“
„War sein Bart akkurat gestutzt?“
„Er trägt keinen Bart.“
„Hatten seine Hose oder seine Jacke Falten, Flecken oder sogar eine geflickte Stelle?“
„Nein.“
„Da hast du es. Welcher von Norahs Freunden sieht denn sonst so aus?“
Der Kleinere zog die Schultern in die Höhe. Vielleicht hatte Connor recht. „Er könnte ihre Kontaktperson sein.“
„Das eben müssen wir herausfinden. Du bleibst hier und folgst den beiden, wenn sie rauskommen“, befahl Connor.
„Und was machst du?“
„Ich erzähle unserem Boss von den neuesten Entwicklungen. Und versau es nicht wieder! Wir können von Glück reden, dass Norah zurückgekommen ist – und hoffen, dass sie noch nicht …“
Callum winkte erschrocken ab. „Was mache ich, wenn die beiden sich trennen?“
„Dann gehst du dem Mann nach. Im Moment ist er interessanter als Norah.“
Adam hatte Richard bis an das hohe Tor am Haupteingang von Ormiston House in der Belmont Road begleitet, nachdem dieser zugegeben hatte, dass er allein niemals zurückfinden würde. Norahs Bruder war ein netter Kerl, mit dem man sich gut unterhalten konnte. Er besaß nicht das überschwängliche, rasante Temperament seiner Schwester, schien aber so wie sie mit seinem Leben vollkommen im Reinen zu sein.
Mit einem kräftigen Händedruck wurde Richard verabschiedet. Zwischen den Gitterstäben hindurch sah er dem jungen Mann mit den ausgebeulten Hosen und der ausgebleichten Jacke nach, der gemütlich zwischen den so gar nicht zu ihm passenden herrschaftlichen Anwesen hindurch davonschlenderte, ohne ihnen Beachtung zu schenken.
Als Richard sich umwandte, sah er mit Verwunderung, dass die Zimmer im Haupthaus erleuchtet waren. Das Licht der elektrischen Lampen schien durch die zugezogenen Vorhänge hindurch und warf wechselnde Schatten auf den Vorplatz und den akkurat gemähten Rasen.
Vermutlich nutzte ein Familienmitglied der Pirries das Belfaster Anwesen. Richard nahm den Hut ab und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Ob Helena Andrews da war? Bekam er tatsächlich die Möglichkeit geboten, seine Fühler erneut in die High Society Englands auszustrecken? Durfte er es wagen, davon zu träumen, darin Fuß zu fassen, vielleicht mithilfe dieser bezaubernden Frau? Er schüttelte über sich selbst den Kopf. Welche Veranlassung für eine Reise nach Belfast sollte die schöne Helena haben, selbst wenn auch hier Adel und Reichtum angesiedelt waren?
Mit entschlossenen Schritten ging er in Richtung Gästehaus. Morgen früh wartete eine Menge Arbeit auf ihn. Es wurde Zeit, sich schlafen zu legen.
Kapitel 12
Am späten Nachmittag trat Herr Bokisch zu Richard und sah ihm einen Moment lang über die Schulter. Richard ließ sich nicht stören, zumal er inzwischen schon mehrere Lehrlinge ausgebildet hatte und es gewohnt war, dass ihm jemand bei der Arbeit zusah.
„Ich muss Edwin zustimmen, Martin“, sagte Herr Bokisch schließlich. „Sie sind nicht nur ein Fachmann, was das Innenleben der Instrumente anbetrifft – nein, nicht einmal diese Schnitzereien bereiten Ihnen Schwierigkeiten.“
Richard lächelte, bearbeitete aber weiter mit seinem schmalen Messer das Holz. „Danke, Herr Bokisch. Bei der Ausbildung in meiner Heimatstadt hatte ich nicht nur einen Arbeitsschritt zu fertigen, wie es heute üblich ist, sondern bearbeitete die Instrumente von Beginn bis zur Fertigstellung. Als ich in Ihre Firma wechselte, ließ ich mir ebenfalls alle Arbeitsschritte zeigen.“
„Sehr lobenswert“, murmelte der Mann. „Jedenfalls lag Edwin auch richtig, als er Sie für diese Reise vorschlug. Sie sprechen hervorragend Englisch und haben keine Probleme, sich in der gehobenen Gesellschaft zurechtzufinden. Nicht jeder Arbeiter wäre dazu in der Lage gewesen.“ Herr Bokisch
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