Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
von hinten.
Norah blieb augenblicklich stehen, und Richard, der nicht ganz so schnell reagierte, ließ sie vorsichtshalber los, um sie nicht unsanft mit sich zu zerren. Aufmerksam wandte er sich zu Adam um. „Soll ich Leah übernehmen?“, bot er sich an.
Dem Iren lief der Schweiß über die Stirn, und sein Hemd zeigte deutliche Spuren seiner Anstrengung. „Untersteh dich, meine Schwester loszulassen“, brummte er in seine Richtung.
Richard trat einen Schritt zurück und ergriff schnell wieder Norahs Hand.
„Ich lauf schon nicht weg“, brummte sie, aber ihr Protest klang in seinen Ohren halbherzig.
„Das wirst du mit Sicherheit nicht tun“, bestätigte er und verstärkte den Druck um ihre Hand. In einiger Entfernung bog Dylan in die Straße ein. Der Heizer bewegte sich im Laufschritt, aber keinesfalls so schnell, dass zu befürchten stand, dieser Zuhälter sei hinter ihm her.
Dementsprechend zügig erreichte Dylan die kleine Gruppe. „Hey, alles in Ordnung. Der Kerl hat euch nicht mehr gesehen und ging einfach an mir vorbei die Straße runter.“
Ohne Aufforderung nahm der Heizer seinem Freund Leah ab, deren Füße schlimm zugerichtet aussahen.
„Das tut mir so leid, Leah“, flüsterte Norah und strich ihr mit den Fingern über den linken Fuß, als könne sie ihr dadurch den Schmerz nehmen.
„Das heilt doch wieder, Sternchen.“
Norah nickte und lächelte tapfer. Allerdings ahnte Richard, dass Norah mit ihrer Entschuldigung nicht nur Leahs zerschundene Füße, sondern auch ihre Gefangenschaft und den schrecklichen Angriff auf Susan meinte.
Während Dylan mit Leah vorausging, gesellte sich Adam neben seine jüngere Schwester. „Was hast du dir dabei nur wieder gedacht, Norah?“
„Ich dachte mir, bei einer Frau hat der Türsteher weniger Bedenken, wenn sie um eine Unterhaltung mit einem der Mädchen bittet“, erklärte Norah. „Aber ihr seid sehr spät gekommen.“
Adam warf Richard einen Blick zu, der zwischen Belustigung und Ärger schwankte, und auch er schüttelte nur sprachlos den Kopf. Dieser Wirbelwind war tatsächlich davon ausgegangen, sie würden nicht nur ihr Verschwinden rechtzeitig bemerken, sondern auch sofort reagieren und ihr zum Queen’s Square folgen.
„Du wirst morgen früh nach Southampton abreisen, selbst wenn es bis zur Abfahrt der Titanic noch eine Weile hin ist“, bestimmte Adam schließlich.
„Ja“, stimmte sie zu Richards Verwunderung augenblicklich zu. Selbst Norah musste klar sein, dass sie hier in Belfast nicht mehr sicher war – zumindest so lange, bis ein wenig Gras über die Angelegenheit gewachsen war. Vermutlich konnten sie alle erst beruhigt sein, wenn sie auf der Titanic in Richtung New York unterwegs war. Auf das Schiff würde dieser Mann ihr wohl kaum folgen.
Und danach? Auf diese Frage würde Norah vermutlich antworten, man könne sich darüber immer noch Gedanken machen, wenn es so weit sei.
Norah stand hinter Leah, die auf der Bettkante von Susans Krankenlager saß, und fühlte sich furchtbar. Sie wünschte sich einfach nur, sie könnte die Zeit zurückdrehen. Das Mädchen weinte hemmungslos und streichelte ihrer älteren Schwester über das immer noch verquollene, rot und blau unterlaufene Gesicht.
Adam trat hinter Norah und legte seine Arme um sie, woraufhin sie sich Trost suchend gegen die breite Brust ihres Bruders lehnte und die Augen schloss. Obwohl es ihr schwerfiel, musste sie einsehen, dass sie die Vergangenheit nicht mehr ändern konnte. Aber sie würde Gott anflehen, dass Susan ihrer Schwester erhalten blieb.
„Dylan, Danny und ich bringen Chloe und Catherine nach Hause, Sternchen“, raunte Adam in ihr Ohr. „Wir müssen einen Weg finden, Leah und Susan aus der Stadt zu schaffen und alles für deine Abreise vorzubereiten. Ihr drei Mädchen bleibt am besten solange erst einmal hier im Gästehaus. Hier seid ihr wohl am sichersten.“
Norah brachte nicht mehr als ein Nicken zustande.
Plötzlich fuhr Leahs Kopf ruckartig in die Höhe. „Susan?“ Aus ihrer Stimme klang freudige Aufregung.
Norah löste sich aus der Umarmung ihres Bruders und trat näher zum Bett. Auch Chloe kam herbeigeeilt und musterte die Verletzte.
„Sie hat meine Hand gedrückt!“, erklärte Leah, ohne den Blick von Susans Gesicht zu nehmen.
Norah spürte das aufgeregte Schlagen ihres Herzens. Würde Susan wieder zu sich kommen? Schneller, als der Arzt es vermutet hatte?
Susans Lippen öffneten sich. „Leah?“, flüsterte sie kaum
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