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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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Kloster Metten und Burg Offenberg und außerdem nicht weit vom Donauufer entfernt lag.
    In den ersten Tagen nach der Hochzeit hatte Anna gehofft, es würde bald so weit sein, aber irgendwann hatte sie dann keine Eile mehr damit gehabt. Die Schwesternfusion zwischen ihr und Helga bewährte sich derart erfreulich, dass in Anna allmählich der Verdacht keimte, ein Bäckerladen in Neuhausen könne damit nicht konkurrieren.
    Helga und ihr Mann hatten sich nach ihrer Hochzeit ein hübsches Häuschen auf das Grundstück gebaut, das Karl von seinen Großeltern geerbt hatte. Ein Häuschen, wie es auch Anna gern gehabt hätte.
    Sosehr es in den Kriegsjahren auch an Männern fehlte, Nachwuchs gab es genug, deshalb bekam Gerdas Mutter (sie war ausgebildete Kindergärtnerin, sogar ein Prüfungszeugnis konnte sie vorweisen) eine Stelle im Münzhausener Gemeindehort.
    Kaum hatte Anna den Dienst angetreten, durfte sie von sich behaupten, ihrem Volksempfänger stets einen Schritt voraus zu sein: Zusammen mit den Kindern, die sie betreute, purzelten Nachrichten über mehr Ereignisse in den Hort, als sich wirklich zugetragen haben konnten.
    Den Lebensmittelrationen, die generell dem Bedarf hinterherhinkten, fand sich Anna ebenfalls einen Schritt voraus, denn Nahrhaftes vom Schwarzen Markt floss als zusätzliches Entgelt in ihre Hände. Zwei Eier für ein Stündchen länger mit Franz und Traudl, ein Weckerl fürs Heimbringen von Marie.
    Annas Einkünfte an Essbarem machten sich allerdings dürftig aus im Vergleich zu dem, was Helga nach Hause brachte. Helga, gelernte Schneiderin, ging Tag für Tag auf die Stör. Mal eilte sie Linz zu, mal schlug sie den Weg nach Passau ein, mal wanderte sie im Kreis um Münzhausen herum. Sie suchte vorrangig die Bauersleute mit den größten Scheunen auf, änderte und flickte für sie, arbeitete aus alten Uniformjacken zünftige Kniebundhosen und aus verschlissenen Leintüchern reizvolle Nachthemden. Der Rucksack voll Naturalien, den sie nach drei Tagen solcherlei Tätigkeit heimschleppte, wog schwer.
    Und Klein-Gerti? Begleitete mal Mama in den Hort, um dort auf einer Matratze zu strampeln, mal blieb sie zu Hause, wo Helgas Schwiegermutter ein wachsames Auge auf das Kind hatte, während sie den Haushalt machte und für Helgas Buben Eierkuchen oder Röstkartoffeln briet.
    Die Schwesternwirtschaft gestaltete sich noch angenehmer, nachdem Helgas Mann Karl – monatelang gelbsüchtig in der Kammer röchelnd – sein Leben ausgehaucht hatte.
    Da stand eines Junitages 1945 Gerdas Vater Sepp ganz unvermutet und ziemlich ramponiert vor der Haustür.
    Damit war alles vorbei. Die endgültige Rückkehr ihres Gatten würde Anna dazu zwingen, von Münzhausen Abschied zu nehmen, denn Sepp Langmoser wollte so schnell als möglich zurück nach Neuhausen, um dort wieder in der Bäckerei Veit zu arbeiten wie vor dem Krieg. Daran ließ er keinen Zweifel. Und so war es ja auch ausgemacht.
    Aber das bedeutete adieu, Kinderhort. Aus mit Blinde-Kuh-Spielen mitten am Vormittag, aus mit Schwarzer Peter und Es-tanzt-ein-Bi-Ba-Butzemann; aus mit Löwenzahnketten und Gänseblümchenkränzen, gewunden im Sonnenschein auf der Wiese vor dem Gemeindehaus.
    Es bedeutete auch adieu, liebe Schwester. Aus mit den Leckerbissen, die Helga von der Stör oft mitbrachte, aus mit den Borten und Spitzenbesätzen, die sie den Bäuerinnen gern abschwatzte.
    Adieu, hübsches Häuschen.
    Als sich herausstellte, dass der Familie Langmoser nichts anderes übrig blieb, als in Neuhausen auf dem Himmelberghof unterzukriechen, hätte sich Anna beinahe gegen ihren Mann aufgelehnt. Brot und Semmeln konnte er doch ebenso gut für die Leute vom Sauwald backen.
    »Vorübergehend müssen wir bei deinen Eltern wohnen«, sagte ihr Mann. »Nur vorübergehend.«
    Anna knirschte mit den Zähnen. Auf dem Himmelberghof lebten ja nicht nur ihre Eltern. Das alte Bauernhaus beherbergte auch Willi, den armen Irren, Max, den Krüppel, und Liesl, die Schlampe, mitsamt ihrem Balg.
    »Neuhausen, da gehören wir hin«, bestimmte Annas Mann.
    Widerspruch würde nicht nur zwecklos sein, sondern auch Zwist und Streit heraufbeschwören.
    Deshalb bezog Anna noch im gleichen Monat – mit Mann und Kind und Groll auf der Seele – ein Zimmer im Haus ihrer Eltern. Und täglich in aller Frühe machte sich Sepp auf den Weg zur Bäckerei Veit.
    Anna blieb mit Klein-Gerti zurück, um ihrem Dasein zu zürnen.
    In Neuhausen war es aus damit, sich erst um halb sieben aus den Federn zu

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